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Kottenforst

Kottenforst

Titel: Kottenforst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Thiesmeyer
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Kurz bevor sie den breiten Weg an der Lärmschutzwand der Autobahn erreichten, sah Pilar einen grauen Wintermantel durch die Zweige schimmern. Ein bisschen spät zog sie die Leine straff. Nogger wäre fast gegen Professor Dobbel geprallt.
    Der Dackel des Professors warf das dünne Schwänzchen hin und her. Nogger neigte seinen dicken Kopf mit dem weiß angelaufenen Auge und der mit Fell bespannten leeren Augenhöhle zu dem Kleinen hinab und wedelte in gemäßigtem Tempo.
    »Morgen, Herr Professor«, schmetterte Pilar laut, da sie wusste, dass der alte Herr nicht gut hörte. Sie kannte ihn von unzähligen Gassigängen, er nahm jeden Tag den Weg von Röttgen durch den Kottenforst zum Brüser Berg und durch die Autobahnunterführung über Ückesdorf zurück zu seinem Haus am Schlossbach.
    Professor Dobbel schien Pilar kaum wahrzunehmen. Er blickte auf den rehbraunen Rücken des Dackels, riss die Leine herum und brummte:
    »Komm, Jupp, wir müssen noch einkaufen.«
    Das war Pilar ganz lieb. Sie wären sonst die lange Strecke am Feld entlang in dieselbe Richtung gegangen, und die Unterhaltung mit dem emeritierten Germanisten, einem Liebhaber von Schillerdramen, war meistens mühselig. Dennoch war sie irritiert. Sonst hatte er ihr jedes Mal einen guten Morgen gewünscht, ihr die Stirn mit dem weißen Haar zugeneigt, das wie eine Schönwetterwolke um seinen Kopf lag, und mit umständlichem Alt-Herren-Charme ein Kompliment über ihre schwarzen Locken und ihre Augen hinzugefügt: »Unsere andalusische Schönheit« oder »Hätte Don Carlos Sie gekannt, wäre Elisabeth vergessen«. Jetzt aber konnte sie sich kaum vorstellen, dass er jemals Derartiges gesagt hatte.
    Aus der Gegenrichtung sah Pilar bald drei Frauen auf sich zukommen, die ihre bunt verpackten Körper mit Nordic-Walking-Stöcken kraftvoll um die Kurve stemmten, wo Fußgänger- und Reitweg sich trennten. Der Krauskopf mit der Brille links außen war Kevins Mutter, die bleiche Hagere in der Mitte Annas Mutter, Frau Brond-Brohl, und die dritte Frau kannte Pilar nur vom Sehen.
    »So ein Wahnsinn. Wie konnte ihr das passieren?«, fragte die Dritte in einer Lautstärke, die zu ihrem Schwung passte.
    »Es ging chaotisch zu, da hättet ihr mal Anna hören sollen.«
    »Sie ist auch sonst recht seltsam«, sagte Kevins Mutter.
    »Nichts hatte sie im Griff, hat mir jemand er–«
    Mitten im Wort brach die Dritte ab, während die anderen »Pssst« zischten. Alle drei starrten Pilar an und grüßten tonlos. Es wirkte wie grimmiges Nicken.
    Die haben von mir geredet, dachte Pilar. Sie fühlte sich elend, als sie sich an den dreien vorbeizwängte, die wie eine Phalanx auf sie zukamen und die ganze Breite des Weges einnahmen. Ihr linker Fuß landete in einer Pfütze, der rechte in einem Maulwurfshaufen, ihre Wade traf eine Stockspitze, und ihr Ärmel blieb an den Dornen eines Schlehenbusches hängen. Dem blinden Hund, der auf der anderen Wegseite entlangtrottete, peitschten Äste ins Gesicht.
    Pilar blieb stehen und atmete tief durch, um nicht laut zu schimpfen. Die Mütter von Kevin und Anna hatten ihr kurz vor der geplanten Aufführung die Hand gedrückt und gesagt, so viel Engagement, Kreativität und pädagogisches Geschick sei bewundernswert. Und nun schlug ihr so viel Feindseligkeit entgegen! Sie wusste jetzt, worauf Frau Sauerwucht angespielt hatte, und Professor Dobbel hatte vermutlich Ähnliches gedacht. Dazu passten auch die Häufchen auf der Fußmatte – deutlicher ließ sich Missachtung kaum ausdrücken. Wenn das so weiterging …
    »Pilar?«
    Neben ihr stand plötzlich Patricia, die halbtags in der Apotheke arbeitete. Sie musste mit leichtem Tritt von hinten gekommen sein. Patricia tat einen Schritt auf sie zu, breitete beide Arme aus und drückte Pilar an den glatten schwarzen Stoff ihrer Laufkleidung. Pilar war völlig überrumpelt. Sie wusste nicht, was sie sagten sollte.
    »Das ist so furchtbar, Pilar. Frau Holzbeisser war Samstagmittag noch in der Apotheke. Wer kann sie nur so gehasst haben?« Patricia begann im Kreis um sie herumzulaufen. »Entschuldige, Pilar, meine Muskulatur wird sonst kalt. Es gehen ja die dollsten Gerüchte um. Aber ich glaube nichts davon.« Patricia wendete und umrundete Pilar in der entgegengesetzten Richtung. »Ich kenne so was. In der Apotheke, in der ich früher gearbeitet habe, sind einmal Medikamente verwechselt worden, und die lieben Kolleginnen setzten das Gerücht in die Welt, ich sei die Schuldige. Man überlebt es. Mach’s

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