Kottenforst
ihm jemand von hinten auf die Schulter tippte.
»Entschuldigung, sind Sie nicht Herr Stieger?« Die Frauenstimme in seinem Rücken gab ihm das Gefühl einer warmen Brause.
Er drehte sich um. Eine große Blondine, etwas älter als er selbst, sah ihn aus großen grauen Augen an. Was für Augen, dachte Freddy und lächelte unwillkürlich. Im Geiste sah er schon vor sich, wie er ihr die Tür zu seinem Häuschen aufhielt. Warum nicht mal eine Ältere? Sie war attraktiv.
»Herr Stieger, der Privatdetektiv?«, fügte sie hinzu.
»Ja, der bin ich.« Er nickte ihr kurz zu, schaute wieder nach vorn und blickte in ein halbes Dutzend neugieriger Gesichter. Alle, die vor ihm standen, hatten sich umgedreht, darunter der Besitzer eines Dackels aus preisgekrönter Zucht, Professor Dobbel, den Freddy auf einer Runde mit seinem Beagle-Mix Billy kennengelernt hatte, als die Vierbeiner, der deutsche adelige und die spanische Straßenmischung, sich beschnüffelten.
»Sie haben einen hochinteressanten Beruf«, rief die Blonde hinter ihm aus.
Freddy wandte sich wieder um und versuchte seinem Lächeln etwas Geheimnisvolles zu verleihen. Er konnte sich Interessanteres vorstellen, als ab und zu einen möglicherweise untreuen Ehepartner zu observieren oder eine Exfrau, die vielleicht zu Unrecht Unterhalt bezog. Die spannenderen Fälle landeten in den großen Detekteien mit den riesigen Anzeigen, während er selbst halbtags Gemüse auf dem Venusberg verkaufte. Manchmal erhielt er von einer Kölner Detektei einen Auftrag, aber das waren nur kleine Fische.
»Was halten Sie denn von unserem …«, die große Blonde zögerte, »… Röttgener Mord?«
»Ich bin dabei, den Fall aufzuklären.«
Die Augen der Frau blitzten auf, als wüsste sie, dass er bluffte. Wer war das überhaupt? Freddy meinte, sie schon einmal gesehen zu haben, aber er kam nicht drauf, wo. Ihre ganze Art wirkte ein wenig übertrieben. Wenn man mit der was anfing, konnte das anstrengend werden.
»Denken Sie auch an den Raubüberfall«, raunte die Dame im Tweedkostüm ihm zu. »Hundert Meter von unserem Haus entfernt. Tun Sie da was.«
»Der Täter ist noch nicht gefasst«, betonte der Professor.
»Man fühlt sich wie in Los Angeles. Unsere schöne Gegend muss wieder sicher werden, hab ich recht, Frau Fischmann?«, wandte sich die Tweed-Trägerin an die Blondine hinter Freddy.
»Herr Stieger kümmert sich gewiss gern um unsere Sicherheit«, meinte der Professor, während er ein paar Dosen Hundefutter aufs Band legte.
»Ist das ein Auftrag?«, fragte Freddy. »Dann bräuchte ich eine Anzahlung.«
Abrupt drehten sich die Köpfe wieder nach vorn. Nur der Jäger, der gerade Wurst und Schinken in eine Tüte packte, sah ihn an.
»Eliminieren Sie die Fremdkörper, die unsere Gemeinde am Kottenforst für Kriminalstücke missbrauchen wollen. Das würde ich mich etwas kosten lassen. Wie viel brauchen Sie? Nennen Sie mir den Preis.«
Arschloch, hätte Freddy am liebsten gesagt.
SECHS
Nachdem sie den Hund weggebracht und den Schlüssel bei Frau Sauerwucht abgegeben hatte, wollte Pilar mit dem Wagen ein paar Dinge besorgen, die man in Ückesdorf nicht bekam. Vor allem war kein Obst mehr im Haus – bis auf die fünf schwarzen Bananen, von denen Richard seit einer Woche behauptete, man könne sie noch essen. Sie ging zu ihrem Schreibtisch, in dessen Schublade sie den Schlüssel des Fiestas verwahrte ‒ aus Furcht, wenn er wie die anderen neben der Tür hinge, könnte ein Einbrecher damit abhauen. Als sie die Schublade öffnete, traute sie ihren Augen kaum. Nein, schlampig war sie nicht, nur hoffnungslos chaotisch. Neben dem Etui der Firma Ford lag brüderlich Sylvias Haustürschlüssel.
Minuten später lenkte Pilar den Fiesta aus dem Carport. In der engen Kurve am Ende der Straße kam ihr ein Auto entgegen; sie musste zurücksetzen und stellte sich so ungeschickt an, als hätte sie gerade die erste Fahrstunde hinter sich. Kein Wunder, sie fühlte sich wie im Fieber, seit sie Anja und dem aufgeplusterten Nachbarn begegnet war! Die Erinnerung daran musste sie schnellstens ausblenden, es war ja nicht zu ändern. Oder sollte sie kämpfen, solche Leute zur Rede stellen und sich verteidigen? Ihnen erklären, ihr Verhalten sei ungerecht und kleinlich?
Schon an der ersten Kreuzung, an der sie hielt, obwohl sie Vorfahrt hatte, wurde ihr bewusst, dass es ihr unmöglich war, nicht daran zu denken. Sie dachte jede Sekunde daran, es ließ sich nicht wegschieben. Die Hubertusstraße
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