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Kottenforst

Kottenforst

Titel: Kottenforst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Thiesmeyer
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gut!«
    Patricia lief weiter, und Pilar fühlte sich, als sie an den Pferdeweiden vorbei und über den Friedhof Kottenforst in den Ort zurückging, ein wenig besser. Wenn nur nicht der bittere Beigeschmack gewesen wäre: die dollsten Gerüchte …
    Nachdem sie ein paar Leuten begegnet war, die sie offensichtlich nicht kannten, traf Pilar am Ende ihrer Runde das Ehepaar Zoppert, das seit fast fünfzig Jahren in dem älteren Teil von Ückesdorf wohnte, der damals eine neue Siedlung war. Frau Zoppert, die wie ihr Mann weit über achtzig sein musste, zog ein Leckerli für Nogger aus der Manteltasche und sagte, der schreckliche Vorfall mache sie traurig, es gebe jetzt zu viele Menschen hier, zu viel Anonymität. Früher hätten alle in der Gegend einander gekannt und zusammengehalten.
    Also, was willst du , rief sich Pilar Richards Worte ins Gedächtnis, als die Zopperts weitergegangen waren, kein Mensch wird dir vorwerfen … Es stimmte nicht ganz, und vor allem befürchtete sie bei jeder Person, die sie traf, dass sie ihr doch etwas vorwarf. Die dollsten Gerüchte … Patricias lässig hingeworfene Bemerkung gab ihr das Gefühl einer nahenden Unwetterfront.
    Pilar war inzwischen an der Bäckerei angekommen und schlang die Hundeleine um einen Laternenpfahl. Heute stand die junge Schwarzhaarige hinter der Auslage der Brötchen und Teilchen, und davor leuchtete der Karottenkopf von Anja Dreisam über einem zitronengelben Wollschal. Als Pilar eintrat, hustete Anja gerade heftig. Das war vermutlich der Grund, weshalb sie nicht an ihrem Schreibtisch im städtischen Ordnungsamt weilte.
    »Meine Mutter schwört auf Holundertee.« Die Verkäuferin reichte ihr eine Tüte über die Glastheke.
    Anja Dreisam drehte sich zu Pilar um. »Ah, Sie«, rief die große, üppige Frau in den Fünfzigern, neben der Pilar sich immer klein und mickrig vorkam. »Nun werden Sie aufhören müssen! Ich frage mich schon lange: Ist so viel Theater eigentlich gut für junge Leute?«
    Pilar wich einen Schritt zurück. Ihr war, als bekäme sie eine Ohrfeige, einen Schlag aus dem Hinterhalt. Sie spürte ihren Zorn aufsteigen wie Sodbrennen.
    Hinter ihr war noch jemand hereingekommen. Der Duft der Brote und Brötchen mischte sich mit dem Geruch von Aftershave.
    »Laientheater!«, querte eine Männerstimme. »Die jungen Leute können sich weiß Gott sinnvoller beschäftigen.«
    Pilar fuhr herum. Die Stimme kannte sie. Unzählige Sommerabende hatte sie beeinträchtigt, zahlreiche Siestas im Liegestuhl gestört und manchen Rasenmäher übertönt. Nicht weniger durchdringend war sie am Samstag durch den Saal gescheppert – die Stimme ihres Nachbarn Winter.
    Pilars Erwiderung fiel bissig aus. »Mit immer neuen Computerspielen, Herr Winter. Mit Gewaltvideos, stundenlangem Surfen im Internet, klar.«
    »Theater! Bühne! Das setzt denen nur komische Ideen in den Kopf.« In seiner Laufkleidung mit den länglichen schwarzen und weißen Flächen ähnelte Winter einer zu groß geratenen Elster.
    Anja Dreisam nickte bei seinen Worten. »Man sollte die jungen Menschen lieber an soziales Engagement heranführen.«
    »Meiner Gruppe hat das Spiel viel bedeutet.« Ein schwaches Plädoyer für ihre Arbeit, gestand Pilar sich ein. Noch vor einer Woche hätte sie zündende Worte gefunden, um jedem klarzumachen, wie sehr das Theaterspiel die Persönlichkeitsentwicklung und das Selbstbewusstsein junger Menschen fördere, dass ihre Tätigkeit folglich ein wertvolles Engagement darstelle.
    »Ein Kriminalstück, einen Tag vor Totensonntag«, sagte Anja Dreisam zu Herrn Winter. »Nun sieht man, was dabei herauskommt.« Sie wandte sich Pilar zu. »Warum mussten Sie dabei mit Messern hantieren?«
    Pilar presste die Lippen aufeinander. Anja war nicht immer so gewesen. Als ihre Kinder klein waren, hatten sie sich geduzt, es gab ein Foto von ihnen beiden mit Karnevalsperücken, Anja trug eine grüne, Pilar eine rote. Anja hatte es wohl vergessen. Ihr Leben war inzwischen voller Umwälzungen gewesen, drei Ehescheidungen in fünfzehn Jahren, ihre Tochter war zum Vater gezogen. Die letzte Hochzeit war ein Event mit Pferdekutsche, Blaskapelle und Feuerwerk gewesen. Ein Jahr später hatte ein Möbelwagen vor der Tür gestanden, und der neue Mann war ausgezogen. Seitdem engagierte sich Anja in der Kirchengemeinde. Böse Zungen behaupteten, sie suche einen Mann, dem das sechste Gebot bekannt sei.
    »Wir haben mit dem Pfarrer gesprochen, als er von der Freizeit zurückkam, und ihn beschworen,

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