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Kottenforst

Kottenforst

Titel: Kottenforst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Thiesmeyer
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unbeschwert über den Abend reden.
    »Meine Schwäche hat lange angehalten. Aber mein Mann hat sich rührend um mich gekümmert, als er am Sonntag hier war, er ist ja so selten in Bonn. Mein Sohn hat mir zum Trost einen hübschen Bildband aus Kanada geschickt. Er lebt in Québec und hat jeden Tag angerufen, um zu hören, wie es mir geht.«
    »Das ist ja nett.«
    Das täten meine Söhne nicht, dachte Pilar. Sie hatte gehört, dass Frau Fischmann eine Zeit lang Lehrerin gewesen war. Vielleicht bekamen Lehrerinnen ihre Söhne so hin.
    In Pilars Rücken wurde die Tür mit einem kräftigen Stoß geöffnet. Sie wandte sich um. Orientalischer Duft und ein lilafarbenes Cape wehten in den Laden – Anja Dreisam. Pilar reichte Frau Fischmann die abgezählten Cents. Um das wogende Cape machte sie einen Bogen und riss hastig die Tür auf. War sie denn nur noch auf der Flucht?
    »Dass die sich noch hierhertraut«, hörte sie Anja sagen, »nachdem sie den Jungen fast totgefahren hat!«
    Die Ladentür fiel hinter Pilar zu, sodass sie Frau Fischmanns Erwiderung nicht mitbekam. Heiß kochte die Wut in ihr auf. Sie überlegte, ob sie wieder hineingehen sollte, um die Sache richtigzustellen. Aber womöglich würde sie ausfallend werden, was alles verschlimmern würde. Sie ahnte, weshalb Frau Fischmann sich so um Freundlichkeit bemühte hatte: Es war besser fürs Geschäft. Früher wäre Pilar niemals ein solcher Gedanke gekommen. Was war aus ihr geworden? So durfte es nicht weitergehen.
    »Du hast dich verhört«, meinte Richard, als sie abends zusammen in der Küche saßen.
    »Meine Ohren funktionieren noch einwandfrei.«
    »Jedenfalls übertreibst du, so viel ist klar.«
    »Was macht dich so sicher?«
    »Du übertreibst immer.«
    Aha. Fehlte nur noch der Vergleich mit ihrer Mutter. Aber das würde er ihr heute nicht antun, er sah ja, wie fertig sie war.
    »Genau wie deine Mutter«, sagte Richard und öffnete ein alkoholfreies Weizen.
    Diesmal stand kein Teller auf dem Tisch. Und die Flasche hielt er in der Hand. Nur die Zeitung lag vor ihr. Die ließ sich nicht gut werfen. Ihr war auch nicht nach Werfen, ihr war nach Losheulen. Offenbar bemerkte Richy es erst jetzt. Er beugte sich zu ihr herüber und legte einen Arm um sie.
    »Du nimmst alles viel zu ernst, mein Liebes. Leute wie Anja reden nur Blech, da höre ich gar nicht hin. Sie ist mit ihrem eigenen Leben unzufrieden. Deshalb hat sie das Bedürfnis, über andere zu lästern.«
    Hinter Pilar flog die Haustür auf und knallte gegen die Kommode. Sporttaschen krachten zu Boden, Jacken schlidderten über die Truhe. Damian und Lukas kehrten vom Fußball zurück. Neuerdings spielten sie zusammen bei Rot-Weiß Röttgen in einer Mannschaft, Damian als wendiger Torwart und Lukas als laufstarker Stürmer. Doch die Zeit, wo Pilar neben Patricia, Senta und anderen Müttern und Vätern am Rand des Fußballfeldes gestanden, mit ihnen gemeinsam ihre Jungs angefeuert, über Schiedsrichter geschimpft und um Tabellenplätze gebangt hatte, war lange vorbei.
    »Mutter, was hast du da verbockt?« Lukas stöhnte laut auf. »Dein Messer liegen zu lassen! Die Leute regen sich dermaßen auf!«
    »Und dieser peinliche Satz«, pflichtete Damian ihm bei. »›Verdammt, es ist ein Mord geschehen!‹ Wenn du den wenigstens verhindert hättest!«
    »Nein, Mutter setzt noch eins drauf und fährt den Niklas über den Haufen!«
    »Warum hört ihr auf das dumme Geschwätz?«, polterte Richard dazwischen. »Ignorieren müsst ihr das!«
    »Und diese Spekulationen!« Mit der einen Hand öffnete Lukas den Kühlschrank, mit der anderen fuchtelte er in der Luft herum. »Angeblich hast du die Holzbeisser nicht ausstehen können und extra den makaberen Satz ausgesucht.«
    »Wer sagt das?«, fuhr Pilar auf.
    »Und dem Kevin«, Lukas zog die Chorizo heraus und schwang sie wie einen Taktstock, »das Zeichen zum Einsatz gegeben.«
    »Das ist nicht wahr! Ihr seid gemein!«
    »Was sollen wir denn sagen?«, beschwerte sich Damian. »Uns wirft man das an den Kopf, und wir können nichts dafür!«
    »Ich kann auch nichts dafür!«, schrie Pilar.
    Sie sprang auf. Ihr Stuhl kippte um und knallte auf die Fliesen. Sie rannte durch die Diele bis ins Schlafzimmer und warf sich bäuchlings aufs Bett, wo Goethe erschrocken hochschoss, fauchte und das Weite suchte. Wie alle Leute, die über mich herziehen, dachte Pilar. Wenn sie wenigstens offen mit ihr reden würden! Wie lange würde sie das aushalten? Früher – es schien Jahre her zu

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