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Kottenforst

Kottenforst

Titel: Kottenforst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Thiesmeyer
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entstanden – Schluss damit.
    Nachdenken. Hier hatte sie die große Pappe geschnitten. Das Messer hatte sie auf dem Stuhl an der Ecke abgelegt, dem ersten der hintersten Reihe, und die Pappteile mit Kevin zur Bühne getragen. Sie war hierhin zurückgekommen, und Rita hatte irgendwas zu ihr gesagt.
    Ein Geräusch ließ sie den Atem anhalten. Es war sehr nah, aber schwach. Fast wie ein Seufzen. Als ob – völliger Unsinn, hier wehte nicht der Geist der Verstorbenen. Pilar lauschte. Nein, nichts mehr.
    Was war es, das Rita zu ihr gesagt hatte? Sie konnte sich nur daran erinnern, dass die Küsterin ebenso wie sie selbst hin und her gelaufen war, um dies oder jenes schnell zu erledigen, und dass sie beide hastige Sätze ausgestoßen hatten wie: Das müssen wir auch noch!
    Da war wieder etwas. Als striche jemand über Stoff. Pilar starrte auf die schwarze Wand ein paar Meter vor ihr. Nun konnte sie etwas erkennen. Der Kopf eines Menschen, der sich kaum vom Hintergrund abhob. Breite Schultern darunter. Eine Gestalt, die für ein Kind zu groß und für einen Erwachsenen zu klein war.
    Ihre Augen hatten sich langsam an die Dunkelheit gewöhnt. Sie erkannte einen Mann, der auf dem Boden saß, mit dem Rücken zur Wand, die Beine angewinkelt. Der Täter kehrt immer zum Tatort zurück, schoss es ihr durch den Kopf. Irgendwo hatte sie das gehört oder gelesen. War etwas Wahres daran? Hinter ihr stand die Saaltür offen. Notfalls konnte sie fliehen.
    »Wie kommen Sie hier rein?« Ihre Stimme klang heiser, ganz anders, als sie klingen sollte.
    »Müssen Sie das wissen?«, erwiderte der Mann leise, fast flüsternd.
    »Ich besitze einen Schlüssel.« Sie gewann an Sicherheit, sprach nun klar und bestimmt, als gäbe der Schlüssel ihr Macht. »Ich bin die Leiterin der Theatergruppe.«
    »Aha.« Es war kaum mehr als ein Ausatmen.
    »Wer sind Sie?«
    »Spielt keine Rolle.«
    »Finde ich nicht. Was wollen Sie hier?«
    »Nichts.«
    Er stützte sich am Boden ab und kam auf die Füße. Groß und breit stand er zwei Armlängen vor ihr. Die niedrige Stirn seines breiten Schädels schimmerte im Mondlicht, ansonsten lag sein Gesicht im Schatten.
    Rasch bewegte sie sich rückwärts. Zur Tür, zum Lichtschalter.
    »Lassen Sie das«, sagte der Mann. »Tun Sie, was Sie vorhatten.«
    Irgendwas ist mit ihm, überlegte Pilar. Wenn der mir zuschaut, kann ich nicht nachdenken, unmöglich. Er kann ein Psychopath sein. Er ist stark, das sieht man, und wenn er zupackt, hat er einen stählernen Griff. Warum sagt er nicht, wer er ist? Er hat einen Grund, das zu verschweigen! Wie ist er hereingekommen? Die Tür war abgeschlossen!
    »Die Küsterin hat heute Abend den Eingang geputzt und mich nicht bemerkt«, erklärte der Mann, als hätte Pilar die letzte Frage laut gestellt.
    Ruhig bleiben, nahm sie sich vor, keine Angst zeigen. Sie war an der Tür angelangt.
    »Lassen Sie das Licht aus, bitte.« Er sprach jetzt lauter, seine Stimme war rau.
    Pilar ließ die Hand, die sie zum Lichtschalter ausgestreckt hatte, sinken. Vielleicht war es besser, den Mann nicht unnötig zu reizen. Er fühlte sich von ihr gestört, das war deutlich. Aber er blieb ja, wo er war. Sie riss sich zusammen und blickte wieder auf den Stuhl an der Ecke. Auf der hellen Sitzfläche hatte das rote Messer gelegen. Jetzt fiel ihr ein, dass Rita gesagt hatte, sie müssten die Stühle enger zusammenstellen, damit zwei weitere Reihen in den Saal passten. Hätte das Messer zu diesem Zeitpunkt noch auf dem Stuhl gelegen, wäre es ihnen aufgefallen! Sie hatten nahezu jeden Stuhl verschoben, bis genug Platz war. Aber davor? Was war davor gewesen? Jemand musste das Messer vom Stuhl genommen haben! Der Mörder? Ein Komplize? Oder sie selbst?
    Um sich zu erinnern, musste sie sich an den Reihen vorbei zur Bühne begeben und zum Raum dahinter, musste noch einmal den Weg abgehen, den sie mit dem Messer in der Hand möglicherweise genommen hatte. Aber dann würde sie dem Mann den Rücken zuwenden.
    Sie tat es einfach. Drehte sich um, ging vorwärts und lauschte dabei angestrengt, um jede Bewegung des Mannes hinter ihr wahrzunehmen und sofort reagieren zu können. Sie hätte sich maßlos geärgert, wenn sie feige den Saal verlassen hätte, ohne durchzuführen, was sie sich vorgenommen hatte.
    An dem Kulissenstapel, den Scheinwerfern und Lautsprechern vorbei ging sie auf die Tür des Hinterzimmers zu. Sie drückte mit der linken Hand die Klinke herunter, und – seltsam – da war sie, die Erinnerung, als

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