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Kottenforst

Kottenforst

Titel: Kottenforst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Thiesmeyer
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Zügel verfangen.
    Pilar beugte sich hinunter, um den Huf herauszuheben. Schneidender Schmerz ließ sie auf halber Höhe innehalten. Sie ahnte, was es war: das Schlüsselbein. Um das Pferd zu befreien, ohne sich zu bücken, schnallte sie den Zügel auf. An Aufsteigen war nicht zu denken. Sie konnte den linken Arm nicht anheben, um in die Kammer des Sattels zu greifen und sich abzustützen.
    Ich bin selbst schuld daran, dachte Pilar, ich hätte das Pony nicht so antreiben dürfen, es ist zu alt, in Menschenjahren fast so alt wie Mama, die auch nicht durch die Gegend galoppiert. Die Hand gegen das Schlüsselbein gedrückt, ging sie langsam in die Hocke und griff nach der Reitgerte. Asti wies zum Glück keine Verletzungen auf. Aber er blickte immer noch auf dieselbe Stelle in der feuchten Erde, die von den Hufen aufgewühlt und mit welkem Laub durchmischt war.
    Das Einzige, was Pilar dort auffiel, war eine feine Querlinie von wenigen Zentimetern Länge. Sie betrachtete den Boden des Reitwegs genauer. An manchen Stellen schien es ihr so, als könnte sie schwache Fortsetzungen der Linie erkennen. In einem der Schneeflecken am Rand entdeckte sie eine Rille, die sich in dem Grasstreifen verlor, der den Reitweg von dem festeren Boden des Fuß- und Radwegs trennte. Die Rille konnte von einer Hundeleine stammen, von einer dieser dünnen Auslaufleinen, in die sie mal mit dem Fahrrad geraten war. Einen Hund sah sie allerdings nirgendwo, auch keine frischen Pfotenabdrücke. Sie richtete sich auf und musterte noch einmal den Grasstreifen. An einer Stelle waren ein paar Halme abgeknickt. Zwischen den Gräsern schaute ein kurzer, fast armdicker Holzstab hervor.
    Sie trat näher heran. Ein Teil des Stabs schien tief in der Erde zu stecken, als hätte ihn jemand mit dem Hammer hineingetrieben. Er neigte sich dem Reitweg zu und schien auf die Rille im Schnee zu zeigen. Pilar blickte wieder zu den Büschen. Der Wind fuhr in die abgestorbenen Blätter der jungen Eichen und ließ sie leise rascheln. Die Querlinie konnte sie nicht mehr erkennen.
    Ach, egal … Ihr wurde plötzlich schwindelig, ihr Kopf schien aufgeben zu wollen. Jetzt bloß nicht umkippen, sie musste irgendwie nach Hause kommen. Wahrscheinlich konnte sie nicht mal Autofahren. Sie nahm die Zügel in die rechte Hand und führte Asti neben sich her. Der Schwindel ließ nicht nach. Bis zum Hof war es nicht weit, höchstens zehn Minuten, das musste sie schaffen.
    Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen. Sie war merkwürdiger Stimmung, niedergedrückt, als hätte sie zum ersten Mal erfahren, dass Glück so unsicher war wie brüchiges Eis.
    Auf dem Röntgenbild bestand Pilars linkes Schlüsselbein aus zwei ungleichen Teilen mit einem Spalt dazwischen. Richard, der auf ihren Anruf mit seinem Wagen zum Rosenhof gekommen war, hatte Pilar nach Bonn ins Malteserkrankenhaus gefahren. Den Fiesta wollte er später zusammen mit Damian holen.
    Damit die beiden Knochenstücke zusammenwachsen konnten und nicht weiter auseinanderdrifteten, schnallte man Pilar einen Rucksackverband um, dessen Verknotung an ihrem Rücken einen kleinen Buckel bildete. Die Ärztin sagte, dass Pilar ihn vier Wochen lang tragen müsse, sie den Arm nicht über neunzig Grad anheben dürfe, zunächst nicht Autofahren solle und auch sonst vorsichtig sein müsse. Was immer das hieß, Pilar konnte ohnehin nicht viel machen. Sie scheiterte schon am Anziehen ihres Pullovers, aus dem Richard sie vor der Untersuchung mit Geduld und Geschick herausgeschält hatte. Er hätte ihr auch wieder hineingeholfen, aber sie wollte es nicht, die Prozedur war zu schmerzhaft. Obwohl es draußen sehr kalt war, ging sie im Unterhemd zum Auto, die Reitjacke lose über die Schultern gehängt.
    Sie fühlte sich krank. Zu Hause quälte sie sich in eine weite Bluse und saß danach so erschöpft am Küchentisch, als sei dieser Vorgang schon zu viel gewesen. Ebenso wie ihr das Öffnen der Büchse Oliven zu viel war, das Aufschrauben der Mineralwasserflasche, sogar das Bestreichen einer Scheibe Brot. Zu alldem brauchte man einen zweiten Arm, der ordentlich und vor allem schmerzfrei mithielt.
    »Marcha Real« – nun ging auch noch das Telefon. Pilar fand die Hymne nicht mehr erhebend, sondern nur noch nervig.
    »Deine Mutter«, sagte Richard und reichte ihr den Hörer.
    Pilar brauchte eine Weile, um ihrer Mutter zu erklären, was geschehen war. Sogar Wörter zu Sätzen zusammenzufügen, war mühsam. Sie hielt den Hörer eine halbe

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