Kottenforst
ansonsten war es so still, als wäre alles erstarrt. Neben dem Weg schimmerten Wasserlachen mit dünner Eishaut, und zwischen den grauen Stämmen der Bäume hingen, von Sonnenstrahlen durchleuchtet, Nebelschleier wie geheimnisvoller Erdrauch.
Freddy überquerte die Schienen der Bahnlinie, die Bonn mit der Eifel verband. Dahinter leuchtete das Weiß des Fachwerks vom Bahnhof Kottenforst, von dem nun auch die Giebel des Kreuzdaches über den Bäumen auftauchten. Der dreigeschossige Bau stammte aus preußischer Zeit. Auch die kaiserliche Familie wird hier gejagt haben, mutmaßte Freddy, während er ein Stück weiter in den Weg einbog, der nach Buschhoven führte. Immer wieder genoss er es, während der Fahrt links und rechts in den Wald hineinzuschauen, wo Totholz in allen Stadien des Verfalls vor sich hin moderte.
Nachdem er eine Landstraße passiert hatte, fiel Freddy ein parallel zum Weg verlaufender Lavastreifen auf. Das also war der Reitweg. Bald wurde es heller, sonniger, der Weg führte aus dem Wald heraus. Linker Hand sah Freddy eine Bank und den Grasweg, den Pilar erwähnt hatte; ein Stück weiter vor sich erkannte er den leichten Knick. Hier irgendwo musste die Stelle sein.
Er ließ das Rad an der Bank stehen und ging ein paar Schritte zu Fuß. Der Boden des Reitwegs zeigte Bahnen von geflossenem Regenwasser, die zum Relief verhärtet waren, vereiste Pfützen und Abdrücke von Pferdehufen. Nichts deutete darauf hin, dass hier gestern ein Pferd gestürzt war.
Pilar hatte von einem Holzstab gesprochen, der auf dem Grasstreifen in der Erde gesteckt hatte. Freddy konnte nichts dergleichen entdecken. Zwischen den Halmen fiel ihm jedoch ein rundes Loch auf, das gestern tiefer gewesen sein mochte, jetzt aber mit Blattfetzen und Krümeln von Erde angefüllt war. Er betrachtete die Bäume und Büsche auf der gegenüberliegenden Seite des Weges. Kleine Eichen mit verdorrtem Blattwerk, hohe Gräser, Brombeerranken und fast kahle Büsche mit dichtem Geäst. An mehreren Stellen waren kleine Zweige abgeknickt. Das konnte dem starken Regen zuzuschreiben sein. Im Radio hatte er gehört, dass es örtlich gehagelt hatte.
»Senn Se watt am söke?«, sprach ihn jemand von hinten an.
Freddy fuhr herum. Er hatte den Mann nicht kommen gehört. Das Gesicht unter der pelzbesetzten Mütze war rundlich und stark gerötet. Neben dem Mann trottete ein Bär von einem Hund.
»Ich frage mich«, erwiderte Freddy, »wo hier das Buschhovener Schloss war, ich hab so viel davon gehört.« Was für einen Scheiß redete er daher! Dass die Kölner Erzbischöfe auch auf dieser Seite des Kottenforstes ein Schloss besessen hatten, war eine Information aus einem Wanderbuch, das war alles.
»Da senn Se hier janz falsch«, sagte der Mann und ließ die Zunge lange am »l« hängen. Er deutete den Weg entlang. »Se müssen ins Dorf jehen, do wor et. Der Teisch, datt ist der Rest vom Burchjraben. Datt wor e Wasserschloss.«
Freddy nickte und bedankte sich.
»Datt jab et schon im Mittelalter. Aber immer wieder wor et kapott. Nach däm Dreißischjährigen Kriesch hätt däe Burchjraf et opjebaut, aber jelohnt hätt et sisch net. Ende 18. Jahrhundert ist alles affjebrannt.«
»Schade.«
»Mer senn vor zehn Jahren von Duisdorf hierherjezore. Die Frau wollte mehr ins Jrüne, domet et Tier et jot hätt.« Er tätschelte den breiten Rücken des Hundes.
Freddy starrte den Hund an. Zwischen seinen mächtigen Zähnen trug er einen stabil aussehenden Holzpflock mit glatter, offenbar behandelter Oberfläche. An einem Ende klebte getrockneter Lehm, als ob er vor Kurzem in der Erde gesteckt hätte.
»Wo hat er den her?«, fragte Freddy.
Der Mann zuckte mit den Achseln. »Hätt er jestern Abend schon jehabt.«
»Könnte ich den Pflock haben?«
»Sie?« Der Mann hob erstaunt eine seiner buschigen Augenbrauen.
Freddy entschloss sich, ihm reinen Wein einzuschenken.
»Gestern hat sich hier ein Reitunfall ereignet. Dabei hat wahrscheinlich so ein Pflock eine Rolle gespielt. Sehen Sie das Loch dort? Das passt von der Größe her, das Holz könnte da dringesteckt haben. Vermutlich wurde eine Schnur gespannt, um das Pferd zum Stürzen zu bringen.«
Der Mann musterte Freddy eingehend. »Se senn uss Bonn, wie? Heh drusse määt kehner su watt.«
»Kann ich das Holz trotzdem haben?«
Der Mann zögerte einen Moment. »Na jot«, sagte er schließlich. »Wotan, maach uss .«
Über ihren Köpfen ertönte ein Sirren. Freddy blickte nach oben. Unter dem
Weitere Kostenlose Bücher