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Kottenforst

Kottenforst

Titel: Kottenforst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Thiesmeyer
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DANACH
    Meine liebe Nadja,
    nun kann ich Dir in Ruhe berichten: Ich hatte gehört, dass sie im Begriff war, zum Reiten zu fahren. Das musste ich ausnutzen. Noch nie habe ich mich so schnell entschlossen und selten das, was ich brauchte, so schnell beisammengehabt. Es war nicht meine eigene Idee, ich hatte vor langer Zeit irgendwo gelesen, dass ein Radfahrer am Vorgebirgshang auf diese Weise ums Leben gekommen war. Warum sollte es nicht auch bei Reitern klappen? Den Versuch war es wert.
    Mit schwarzem Klebeband war das Kennzeichen des Wagens im Handumdrehen verändert. Einen soliden Stab, dem Anschein nach das Bein eines niedrigen Tischs, hatte ich am Montag im Vorbeigehen vom Sperrmüll mitgenommen, weil man so ein massives Stück Holz immer für irgendetwas gebrauchen kann – und siehst Du, schon ist der Fall eingetreten. Auch der Hammer lag noch in meiner Ledertasche, und das dünne Nylonseil habe ich sowieso immer dabei, um diese Welt jederzeit verlassen zu können, wenn mein Mut erschöpft ist. Im Auto fand sich noch ein alter Regenhut mit breiter Krempe und auf der Ablage eine Männersonnenbrille. Beides setzte ich auf und postierte mich in der Hubertusstraße. Wenn sie noch nicht weg war, musste sie dort entlangkommen, gleichgültig, wohin die Fahrt ging. Obwohl ich mich unglaublich beeilt hatte, fürchtete ich, zu spät zu sein.
    Dann kam sie, und ich folgte ihr. Was nicht schwer war, denn ihr Wagen leuchtete wie ein Lampion durch den Samstagmittagsverkehr. Auch was das Ziel betraf, hatte ich Glück. Ich kannte die Gegend ein wenig und konnte mir denken, wohin sie fuhr. Paul und ich haben früher dort Pilze gesammelt. Wenn ich damals geahnt hätte, dass mir die Ortskenntnis noch nützen würde, hätte mir die Pilzsuche sogar Spaß gemacht.
    Der Pferdehof liegt, genau wie ich es in Erinnerung hatte, frei zwischen den Feldern. Ich konnte weit entfernt parken, ein Stück zu Fuß gehen und von Weitem beobachten, wie sie davonritt. Das Pferd war nicht besonders groß, das hatte ich mir anders vorgestellt, zudem trug sie einen Sturzhelm, der alles zunichtemachen konnte. Versuchen musste ich es dennoch. Als sie nicht mehr zu sehen war, näherte ich mich dem Hof. Am Parkplatz traf ich ein Mädel an, das auf sein Eltern-Taxi wartete und mir bereitwillig erklärte, wo die Leute meistens reiten und auf welcher Strecke hohes Tempo üblich ist.
    Eine geeignete Stelle war rasch gefunden. Nun brauchte ich noch etwas Zähigkeit, um in geduckter Haltung auszuharren, zunächst aber Geschick und Kraft, um den Stab tief in die Erde zu hauen, was viel Zeit in Anspruch nahm. Mit meinem Nylonseil ging es dafür umso schneller. Ein Ahornstamm hielt das eine Ende, die Mitte lief um den Stab, das andere Ende hatte ich um eine Birke geschlungen und das Seil von dort aus straff gezogen. Selbst aus geringer Entfernung war es so gut wie unsichtbar. Doch kaum hatte ich mich im Gesträuch verborgen, quälten mich Bedenken: Was, wenn sie in langsamem Schritt daherkäme? Was, wenn vor ihr andere Reiter heranpreschten?
    Meine Sorgen erwiesen sich als unnötig: Die Einzige, die unter Johlen herangaloppierte, war sie. Es folgte ein unbeschreibliches Krachen. Das dünne Seil glitt wie eine Schlange durch das Kraut zu mir, noch bevor das Pferd wieder auf seinen vier Beinen stand. So weit war alles bestens. Leider konnte nicht nur das Tier, sondern auch sie selbst noch laufen.
    Lass uns hoffen, dass sie den Unfall wenigstens als Warnung versteht. Dann wäre die Mühe nicht umsonst gewesen.
    Von Herzen,
    Chris

VIERZEHN
    »Kann ich dich wirklich hier allein lassen?«, fragte Richard, als er sich am Montagmorgen von Pilar verabschiedete.
    Sachte berührte er ihren Arm, den sie seitlich an den Brustkorb drückte, weil dies die einzige Haltung war, die ihr nicht das Gefühl gab, die linke Schulter rutsche dem Boden entgegen.
    Sie öffnete ihm die Haustür. »Siehst du eine andere Möglichkeit?«
    »Ich könnte meine Mutter anrufen. Sie würde sicher kommen.«
    Pilar verzog das Gesicht, als hätte sie auf scharfe Peperoni gebissen. Edith würde wie immer in allen Schränken nach den Dingen fahnden, die sie ihnen überlassen hatte, weil in ihrem Seniorenapartment nicht genug Platz dafür war. Sie würde bemängeln, dass ihr Silberbesteck unzureichend poliert, ihre Tischdecken nicht einwandfrei gebügelt waren und die gerahmten Stahlstiche von Münster, wo sie groß geworden war, in der Schublade lagen, statt an den Wänden zu hängen. Seit Jahren ging

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