Kottenforst
blassblauen Himmel schimmerte silbrig ein ferngelenktes Flugzeug.
Als er wieder nach unten schaute, sah er den Hund über die Wiese rennen. Er wurde kleiner und kleiner und war bald nur noch ein schwarzer Punkt.
»Datt wor däe Schreck«, erklärte sein Besitzer.
Freddy stöhnte. Von wegen uss . Der Hund hatte das Beweisstück mitgenommen. Die Gemütlichkeit des Mannes ärgerte Freddy plötzlich. Jetzt war nicht einmal mehr der Punkt zu sehen. Erst als der Mann sich verabschiedet hatte und in den Grasweg einbog, sah Freddy das Tier in großen Sprüngen zu seinem Herrn zurückkehren. Aus seiner Schnauze hing die lange rosa Zunge und sonst nichts.
Seufzend wandte sich Freddy wieder dem Reitweg zu. Was war ihm durch den Kopf gegangen, bevor der Hundebesitzer ihn ansprach?
Starkregen, Hagel und geknickte Zweige … Direkt vor ihm schienen die Büsche und Bäume ziemlich dicht zu stehen, weiter hinten sah das Unterholz lichter aus. Er ging auf die Bank zu und blickte von dort aus zum Gebüsch des Waldrands. Aha! Schräg gegenüber befand sich eine unauffällige Schneise mit kniehohem strohgelbem Gras, das an manchen Stellen niedergetreten war. Das konnte nicht von einer einzelnen Person stammen, möglicherweise von Hunden oder vom Wild.
Er trat in die Schneise und arbeitete sich über Grasbüschel, Moospolster und Brombeerranken so weit vorwärts, dass er hinter das Gebüsch gelangte. Der Reitweg war von hier höchstens zwei Meter entfernt. Einen Schritt weiter öffnete sich eine Nische zwischen den Büschen, sodass man noch näher herankam. Das Loch, in dem der Pflock gesteckt haben konnte, musste ungefähr gegenüber liegen. Es war das passende Versteck, es lag genau richtig.
Freddy sah sich um. Außer ein paar Papiertaschentüchern, die wohl als Klopapier gedient hatten, konnte er nichts entdecken. Wer sich ins Gebüsch begab, hatte anderes im Sinn, als ein Pferd zu Fall zu bringen, und falls doch, hinterließ er nichts. Es langte Freddy, er machte kehrt. Er hätte sich denken können, dass hier nichts zu finden war. Nun spürte er plötzlich die Kälte. Bisher hatte er nicht darauf geachtet, wie sehr er fror. Der Pullover unter dem Anorak war zu dünn. Er musste schnell zurück zum Rad und nach Hause fahren.
Abrupt wurde er gebremst. Sein linker Fuß hatte sich in einer daumendicken Brombeerranke verfangen, und die Schleife seines Schnürsenkels hing fest. Freddy bückte sich, löste sie und zog den Fuß aus der Ranke, die wie eine Schlinge um seinen Knöchel saß. Er stutzte. Neben dem anderen Schuh lag ein dünnes Metallstück von etwa zwei Zentimetern Länge. Kein Nagel, eher ein abgeflachter Stift von irgendeinem Scharnier. Es glänzte, als läge es noch nicht lange hier.
Freddy zog eine Plastiktüte aus seiner Hosentasche und nahm das Stück damit auf, ohne es mit den Fingern zu berühren. Jetzt, aus der Nähe, sah er, was es war: der Dorn einer Schnalle, die zu einem Gürtel oder dem Riemen einer Handtasche gehörte. Immerhin! So sauber, wie das Ding aussah, konnte es von gestern stammen.
Er nahm sein Handy aus der Jacke und rief Pilar an.
»Ein Dorn«, wiederholte Pilar, nachdem er seinen Bericht beendet hatte.
»Sieht so aus«, erwiderte Freddy. »Wir sollten bei Leuten, die was gegen dich haben, auf Gürtel und Taschenriemen achten und prüfen, ob die Schnallen in Ordnung sind.«
» Watt ene Quatsch , würde Rita sagen.«
Freddy spürte Ärger in sich aufsteigen.
»Wenn so ein Dorn abgegangen ist«, erklärte Pilar in belehrendem Ton, »zieht man den Gürtel nicht mehr an und wirft ihn in den Müll. Bei Handtaschen kann man den Riemen entfernen oder gleich die ganze Tasche entsorgen. Wo willst du darauf achten? Auf dem Sperrmüll?«
»Und wenn man nicht merkt, dass der Dorn abgegangen ist?«
»Wie sollte man es nicht merken? Die Schnallen halten doch nicht ohne Dorn.«
Freddy atmete tief durch, um seinen Ärger herunterzuschlucken. Vor ihm leuchteten wie rot lackiert zwei Hagebutten, ein kleiner Vogel wippte über ihm auf einem Zweig, und bläulich erhoben sich am Horizont die Eifelberge. Schön war es hier. Nein, er bereute es nicht, hierhergekommen zu sein, auch wenn sein Fund nicht bahnbrechend war. Und falls Pilar der Polizei von dem Reitunfall berichten würde, könnte sich die Spurensicherung mit dem Dorn befassen. Freddy schob die Tüte in seine Hosentasche, schwang sich auf sein Rad und fuhr heim, zum Kurfürstenplatz, zu Billy, dem noch eine Morgenrunde zustand.
AM ACHTEN TAG
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