Kottenforst
Helles.«
»Ein Viech?«
»Ein Schuh.«
»Die Leute werfen noch ganz andere Sachen da rein.«
»Nein.«
»Nein?«
»Der Schuh gehörte zu dem Baumstamm«, flüsterte Sarah.
»Äh?«
»Weil es kein Baumstamm war.«
»Sag bloß – ein Mensch?«
Sarah konnte nur nicken.
»Habt ihr den rausgefischt?«
»Der war doch tot!«
Zweifelte er daran? Sarah versuchte sein Gesicht zu erkennen. Er packte sich ein Kaugummi aus und sah dabei auf seine Finger. Geschockt war er jedenfalls nicht.
»Was habt ihr denn gemacht?«, fragte er. Das Kaugummi verschwand in seinem Mund. Seine hellen Augen waren wieder auf sie gerichtet.
Sarah setzte sich aufrecht hin. Sie waren fast da. Lengsdorf-Kirche war ihre Haltestelle.
»Wir haben die Polizei angerufen.«
»Supi«, sagte er und klopfte ihr auf die Schulter. »Und wer war der Tote? Haben sie euch das gesagt?«
»Das stand in der Zeitung: ein Opi aus Röttgen, so ein Naturfreak, der im Kottenforst jeden Quadratmeter kannte.«
Sarah drückte den Haltewunschknopf und ging zur Tür. Yannick folgte ihr. Als der Bus hielt, lächelte er sie an. Das mit der Polizei hat er mir geglaubt, dachte sie erleichtert.
* * *
Als Freddy sich auf sein Fahrrad schwingen wollte, rutschte er aus und knallte auf den Rücken. Glatteis! Es fühlte sich an, als hätte seine Wirbelsäule Totalschaden. Der erste Versuch, wieder auf die Beine zu gelangen, bestätigte ihm das – es ging nicht. Er biss noch einmal die Zähne zusammen und drehte sich auf den Bauch. Aus dieser Lage kam er nach und nach auf die Knie und schließlich auf die Füße. Glück gehabt!
Und nun? Die Ente war nicht angesprungen, zu Fuß bräuchte er hin und zurück ein paar Stunden, und mit öffentlichen Verkehrsmitteln war ihm die Tour zu umständlich. Für heute war das Fahrrad immer noch die beste Wahl, wenn er auf die Stellen achtete, wo der Straßenbelag heimtückisch glänzte.
Sein Kreuz schmerzte höllisch, aber als er auf dem Sattel saß und aufs Neue losfuhr, fand er es erträglich. Etwas kritisch wurde die Sache wieder vor der katholischen Kirche Christi Auferstehung, doch rollte er zum Geläut einer wohltönenden Glocke über die Eisflächen hinweg, noch ehe er sie richtig wahrgenommen hatte. Gefährlicher schien die wie Perlmutt schimmernde Kurve zur Witterschlicker Allee, und auf der Brücke über die Autobahn gelangte er zu der Ansicht, seine Fahrt sei selbstmörderisch.
Im Wald stellte Freddy dann erleichtert fest, dass die brettharten Wege nur wenige glatte Flächen aufwiesen. Auch drang das Sonnenlicht zusehends stärker durch die hellgraue Wolkendecke und ließ hoffen, dass das Eis nicht von Dauer war. Er trat nun kräftig in die Pedale; sein betagtes Rad hatte nicht mehr als drei Gänge, das konnte seinen Beinmuskeln nur nützen. So weit war es nicht bis Buschhoven. Der Ort lag auf der anderen Seite des Kottenforstes, dieses uralten Waldgebietes, dessen Name vermutlich auf das altkeltische Wort coat für Wald zurückging, wobei die Franken dem noch forast hinzugefügt hatten – eine Information, die Freddy von Professor Dobbel erhalten hatte, als sie auf der Hunderunde mal ein Stück zusammen gegangen waren.
Auf dem Fahrrad kam man im Kottenforst flott vorwärts. Auch hier gerät man überall mit Geschichte in Berührung, dachte Freddy. Denn die festen, wegen der staunassen Böden leicht erhöhten Wege waren vom Kurfürsten Clemens August angelegt worden, um die Hetzjagd zu Pferd zu ermöglichen, die Parforcejagd, die zur Barockzeit Mode war. Die längsten der schnurgeraden Schneisen, die Alleen, gingen sternförmig vom Jagdschloss Herzogsfreude aus, das die ehemalige Waldrodung Röttgen zum Zentrum des Kottenforstes machte.
Freddy hatte als Kind das Bronzemodell auf dem Schlossplatz sowie die Kapelle und ein Kellergewölbe besichtigt und bedauert, dass dies fast alles war, was von dem mächtigen Schloss übrig geblieben war, da es Anfang des 19. Jahrhunderts abgerissen und Stück für Stück als Baumaterial verkauft worden war. Er war sich mit seinen Freunden einig gewesen, dass ihnen so ein Prachtschloss neben Schule und Fußballplatz gut gefallen hätte. Immerhin sind uns die Wege geblieben, freute sich Freddy, als er die Flerzheimer Allee hinunterrollte. So gesehen war es nicht schlecht, dass der Fürstbischof sich mehr für die Jagd als fürs Regieren interessiert hatte.
Das Knirschen der Reifen auf dem Erdboden schien das einzige Geräusch in diesem großen, erhabenen Wald zu sein,
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