Krabat (German Edition)
auf ein Brett.
»Wie ist es dazu gekommen?«, fragte der Junge.
Michal zögerte mit der Antwort. »Er hat sich«, sagte er stockend, »den Hals gebrochen.«
»Dann ist er wohl – auf der Treppe fehlgetreten – im Finstern … «
»Kann sein«, sagte Michal.
Er drückte dem Toten die Augen zu, schob ihm ein Bündel Stroh in den Nacken, das Juro geholt hatte.
Tondas Gesicht war fahl. »Wie aus Wachs«, dachte Krabat. Er konnte nicht hinsehen, ohne dass ihm die Tränen kamen. Andrusch und Staschko brachten ihn in den Schlafraum.
»Lass uns hier bleiben«, meinten sie. »Unten stünden wir bloß im Weg herum.«
Krabat hockte sich auf den Rand der Pritsche. Er fragte, was nun mit Tonda geschehen werde.
»Was eben so geschieht«, sagte Andrusch. »Juro versorgt ihn, der tut so was nicht zum ersten Mal – und dann werden wir ihn begraben.«
»Wann?«
»Heute Nachmittag, denke ich.«
»Und der Meister?«
»Den brauchen wir nicht dazu«, sagte Staschko barsch.
Am Nachmittag trugen sie Tonda in einem Fichtensarg aus der Mühle, hinaus in den Koselbruch, auf den Wüsten Plan. Das Grab war schon vorbereitet, die Wände der Grube waren mit Raureif bedeckt, der Aushub zugeschneit.
Sie begruben den Toten hastig und ohne Umstände. Ohne Pastor und Kreuz, ohne Kerzen und Klagelied. Keinen Augenblick länger als nötig verweilten die Burschen am Grabe.
Krabat allein blieb zurück.
Er wollte für Tonda ein Vaterunser beten, aber es war ihm entfallen: sooft er auch anfing, er brachte es nicht zusammen. Auf Wendisch nicht und auf Deutsch erst recht nicht.
Der Meister blieb während der nächsten Tage verschwunden, in dieser Zeit stand die Mühle still. Die Mühlknappen lungerten auf den Pritschen herum, sie hockten am warmen Ofen. Sie aßen wenig und sprachen nicht viel, besonders nicht über Tondas Tod. Als habe es einen Altgesellen, der Tonda hieß, auf der Mühle im Koselbruch nie gegeben.
Am Ende der Pritsche, die ihm gehört hatte, lagen Tondas Kleider, sauber gefaltet und aufeinandergeschichtet: die Hosen, das Hemd und der Kittel, der Leibgurt, das Schurztuch und oben darauf die Mütze. Juro hatte die Sachen am Abend des Neujahrstages heraufgebracht und die Burschen bemühten sich, so zu tun, als gelänge es ihnen, darüber hinwegzusehen. Krabat war traurig, er fühlte sich gottverlassen und elend. Dass Tonda ums Leben gekommen war, konnte kein Zufall gewesen sein: das wurde ihm mehr und mehr zur Gewissheit, je länger er sich darüber Gedanken machte. Es musste da etwas geben, wovon er nichts wusste, was die Gesellen vor ihm geheim hielten. Worin bestand das Geheimnis? Warum hatte Tonda es ihm nicht anvertraut?
Fragen und wieder Fragen, die sich dem Jungen aufdrängten. Hätte er wenigstens etwas zu tun gehabt! Das Herumlungern machte ihn noch ganz krank.
Juro allein war in diesen Tagen beschäftigt wie immer. Er heizte die Öfen, er kochte, er sorgte dafür, dass das Essen rechtzeitig auf den Tisch kam, obgleich die Gesellen das meiste davon in den Schüsseln ließen. Es mag wohl am Morgen des vierten Tages gewesen sein, dass er den Jungen im Hausflur ansprach.
»Magst du mir einen Gefallen tun, Krabat? Du könntest mir ein paar Späne schneiden.«
»Ist recht«, sagte Krabat und folgte ihm in die Küche.
Neben dem Herd lag ein Bündel Kienholz bereit, zum Aufspanen. Juro ging an den Schrank, um ein Messer zu holen, doch Krabat erklärte, er habe sein eigenes bei der Hand.
»Umso besser! Dann los – und gib acht, dass du dich nicht schneidest!«
Krabat machte sich an die Arbeit. Es war ihm, als ginge von Tondas Messer eine lebendige Kraft aus. Nachdenklich wog er es in der Hand. Zum ersten Mal seit der Neujahrsnacht fasste er wieder Mut, zum ersten Mal spürte er neue Zuversicht.
Juro war unbemerkt neben ihn getreten und schaute ihm über die Schulter.
»Dein Messer«, meinte er – »damit kannst du dich sehen lassen … «
»Ein Andenken«, sagte der Junge.
»Von einem Mädchen wohl?«
»Nein«, sagte Krabat. »Von einem Freund, wie es keinen mehr geben wird auf der Welt.«
»Das weißt du bestimmt?«, fragte Juro.
»Das«, sagte Krabat, »weiß ich für Zeit und Ewigkeit.«
Am Morgen nach Tondas Begräbnis waren die Mühlknappen übereingekommen, dass Hanzo von nun an die Stelle des Altgesellen bekleiden sollte, und Hanzo erklärte sich einverstanden.
Der Meister blieb außer Haus bis zum Vorabend des Dreikönigstages. Sie lagen schon auf den Pritschen und Krabat
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