Krabat (German Edition)
Lyschko – wenigstens nicht so stark!«
Mit Merten kam es, wie Krabat befürchtet hatte: am Abend, bei Einbruch der Dunkelheit war er wieder da. Stumm stand er auf der Schwelle, den Kopf gesenkt.
Der Meister empfing ihn in Gegenwart der Gesellen. Er schalt ihn nicht, er verhöhnte ihn. Wie ihm der kleine Ausflug bekommen sei? Ob es ihm auf den Dörfern denn nicht gefallen habe, weil er so früh schon zurückkehre – oder was sonst ihn zur Umkehr bewogen habe?
»Magst du es mir nicht sagen, Merten? Ich merke seit Wochen, dass du das Maul nicht auftust. Aber ich zwinge dich nicht zu sprechen – es ist mir auch einerlei, ob du wieder wegläufst. Versuch es doch ruhig! Versuch es, sooft du magst! Nur solltest du dir nichts vormachen, Merten. Was keiner bisher geschafft hat, das schaffst du auch nicht.«
Merten zuckte mit keiner Miene.
»Verstell dich nur«, sagte der Meister. »Tu nur, als ob es dich kaltließe, dass dir die Flucht missglückt ist! Wir alle, ich und die elf da«, er deutete auf die Müllerburschen und Lobosch, »wir wissen es besser. Verschwinde jetzt!«
Merten verkroch sich auf seine Pritsche.
Den Burschen mit Ausnahme Lyschkos war elend zumute an diesem Abend.
»Wir sollten ihm auszureden versuchen, dass er ein zweites Mal wegläuft«, schlug Hanzo vor.
»Dann versuch es doch!«, meinte Staschko. »Ich kann mir nicht denken, dass es viel nützen wird.«
»Nein«, sagte Krabat. »Er lässt sich da nicht hineinreden, fürchte ich.«
In der Nacht schlug das Wetter um. Als sie am Morgen vors Haus traten, war es windstill und bitterkalt draußen. Eis auf den Fensterscheiben, Eis an den Rändern des Brunnentroges. Die Pfützen ringsum waren zugefroren, die Maulwurfshügel zu festen Klumpen geworden, der Boden war knochenhart.
»Schlecht für die Saat«, meinte Petar. »Kein Schnee – und der Frost jetzt: da wird eine Menge auswintern auf den Feldern.«
Krabat war froh, als Merten sich mit den andern zum Frühstück einfand und gierig über die Grütze herfiel: er hatte wohl einiges nachzuholen von gestern. Dann gingen sie an die Arbeit und keinem fiel auf, dass Merten sich abermals aus der Mühle davonstahl, diesmal bei hellem Tageslicht. Erst mittags, als sie zu Tisch kamen, merkten sie, dass er wieder verschwunden war.
Zwei Tage und Nächte blieb Merten weg, das war länger, als je ein Ausreißer es geschafft hatte, und sie hofften ihn schon über alle Berge – da kam er am Morgen des dritten Tages über die Wiesen herangewankt, auf die Mühle zu: blau gefroren und müde, mit einem Gesicht, das zum Fürchten war.
Krabat und Staschko nahmen ihn an der Tür in Empfang, sie führten ihn in die Stube. Petar zog ihm den einen Schuh aus, Kito den anderen. Hanzo ließ sich von Juro in einer Schüssel eiskaltes Wasser bringen, dann steckte er Mertens erstarrte Füße hinein und begann sie zu reiben.
»Wir müssen ihn schleunigst zu Bett bringen«, sagte er. »Hoffentlich hat er sich nicht den Hund geholt!«
Während die Burschen um Merten bemüht waren, ging die Tür auf. Der Meister betrat die Stube, er sah ihnen eine Zeit lang zu. Diesmal sparte er sich den Spott. Er wartete, bis sie Merten hinaufbringen wollten, da sagte er: »Auf ein Wort noch, bevor ihr ihn wegschafft … «, und näher an Merten herantretend, meinte er: »Zweimal, finde ich, sollte genug sein, Merten. Es gibt keinen Weg für dich, der hier wegführt – mir kommst du nicht aus!«
Merten wählte noch diesen Morgen den dritten und, wie er meinte, den endgültig letzten Weg.
Davon ahnten die Burschen nichts. Sie hatten ihn in den Schlafraum gebracht, ihm was Heißes zu trinken eingeflößt, ihn zu Bett gelegt und in Decken gepackt. Hanzo war oben geblieben und hatte so lang auf der Nachbarpritsche gesessen und ihn beobachtet, bis er davon überzeugt war, Merten sei eingeschlafen und brauche ihn nicht mehr: da war er dann auch hinuntergegangen, um mit den anderen in der Mühle zu arbeiten.
Krabat und Staschko waren seit einigen Tagen damit beschäftigt, die Mühlsteine nachzuschärfen. Vier Mahlgänge hatten sie überholt, der fünfte war heute dran. Sie wollten gerade die Zargen lösen, um an die Steine heranzukommen – da wurde die Tür zur Mahlstube aufgerissen und Lobosch stürzte herein: schneeweiß im Gesicht, die Augen von Angst geweitet.
Er fuchtelte mit den Armen, er schrie – und er schien, wie es aussah, immer das Gleiche zu schreien. Die Mühlknappen konnten ihn erst verstehen,
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