Krach der Kulturen um einen Fahrstuhl an der Piazza Vittorio - Roman
einmal zu mir gesagt: »Das Fernsehen ist meine neue Familie.«
Samstag, 20 . April, 23 . 52 Uhr
Heute Abend habe ich mich mit Lorenzo Manfredini angelegt. Ich sagte ihm, er solle Maria Cristina in Ruhe lassen. Diese arme Frau lebt in einem furchtbaren Gefängnis. Ich dachte daran, mich an Kommissar Bettarini zu wenden. Aber dann fürchtete ich, das könnte ihr Schwierigkeiten einbringen, weil sie keine Aufenthaltsgenehmigung hat. Dieser Verbrecher verdient nicht den Beinamen, den er trägt, »Gladiatore«. Das ist eine Beleidigung für Spartakus, den Befreier der Sklaven!
Die Wahrheit des Antonio Marini
Heute Morgen habe ich unweit der Piazza Vittorio an der Endhaltestelle Via Giolitti eine halbe Stunde auf den Bus 70 gewartet. Schließlich kamen drei auf einmal. Die Busfahrer stiegen aus, ohne sich um die Proteste der Wartenden zu kümmern, gingen zur Bar gegenüber der Haltestelle und setzten sich an einen Tisch im Freien, tranken Espresso, rauchten ein paar Zigaretten und plauderten über dies, das und jenes. Bis zur Abfahrt warteten wir dann noch einmal eine halbe Stunde. Die drei Busfahrer erhoben sich gleichzeitig, jeder ging zu seinem Platz und dann fuhren sie los. E la Madonna, dove l’è che sem? Wo sind wir denn? In Mogadischu oder in Addis Abeba? In Rom oder in Bombay? In der zivilisierten oder in der Dritten Welt? Demnächst schmeißen sie uns noch aus dem Club der reichen Länder. Im Norden würden solche Dinge nie passieren. Ich komme aus Mailand, da kennt man ein derartiges Chaos nicht. In Mailand halten wir Verabredungen präzise ein, das ist uns heilig. Niemand würde es wagen zu sagen: »Wir sehen uns zwischen fünf und sechs«, wie es in Rom so oft vorkommt. In solchen Fällen habe ich mir zur Angewohnheit gemacht, mit aller Bestimmtheit zu erwidern: »Wir treffen uns entweder um Punkt fünf Uhr oder um Punkt sechs!« Welchen Sinn hätte wohl sonst das Sprichwort »Zeit ist Geld«, wenn sich niemand daran hielte? Es war keine wirklich kluge Entscheidung, Mailand zu verlassen und nach Rom zu kommen. Ich habe damals dem Drängen meines Vaters nachgegeben: »Antonio, te ghe d’andà a Ròma! Geh nach Rom! Wenn es diese Gelegenheit schon mal gibt, dort zu arbeiten, dann darfst du sie dir nicht entgehen lassen, mein Sohn! Arbeiten ist Beten!« So habe ich die Assistentenstelle an der Fakultät für Zeitgeschichte der römischen Universität La Sapienza angenommen. Anfangs hatte ich vor, ein oder maximal zwei Jahre zu bleiben und dann nach Mailand zurückzukehren. Aber als ich dann den Lehrstuhl bekam, habe ich vor der Macht des Faktischen kapituliert. Inzwischen stehe ich kurz vor der Pensionierung. Wie oft habe ich es bedauert, all die Jahre hier verbracht zu haben!
Rom! Die ewige Stadt! La bella Roma! Roma amor! Nein, tut mir leid. Ich sehe Rom nicht mit den Augen eines Touristen, der für eine Woche oder zwei hierherkommt, die Piazza Navona, die Spanische Treppe und den Trevibrunnen abklappert, ein paar Erinnerungsfotos schießt, Pizza und Spaghetti isst und dann wieder in sein Land zurückfährt. Es ist kein Touristenparadies, in dem ich lebe, sondern ein höllisches Chaos! Für mich gibt es keinerlei Unterschied zwischen Rom und den süditalienischen Städten Neapel, Palermo, Bari und Syrakus. Rom ist eine Stadt im Süden Italiens und hat rein gar nichts gemein mit Städten wie Mailand, Turin oder Florenz. Die Römer sind faul, das ist die augenfällige Wahrheit. Sie ruhen sich auf den Lorbeeren ihrer Geschichte aus. Sie melken ihre Ruinen, die Kirchen, die Museen und auch die Sonne, die die Nordeuropäer eh verrückt macht. Stellen Sie sich Rom mal ohne das Kolosseum vor, ohne die Kuppel des Petersdoms, ohne Trevibrunnen und die Vatikanischen Museen! Faulheit ist das Einzige, was die Römer kennen. Hören Sie doch bloß mal den Dialekt, in dem sie miteinander reden: Da wird die Hälfte der Wörter verschluckt, aus purer Faulheit. Es macht mich zornig, wenn meine römischen Universitätskollegen mich Anto’ nennen. »Ich heiße Antonio!«, erwidere ich dann ziemlich angespannt. Um das wahre Gesicht der Römer zu entlarven, braucht man sich nur Alberto Sordis Filme
Luftschlösser
,
Die tolldreisten Streiche des Marchese del Grillo
oder
Un borghese piccolo piccolo
anzusehen. Sie sind auch noch stolz auf ihre Unzulänglichkeiten und finden überhaupt nichts dabei, Frauen zu bewundern, die ihre Männer betrügen, oder Leute, die ihre Steuern nicht bezahlen, oder das ach so gewitzte Schlitzohr,
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