Krach der Kulturen um einen Fahrstuhl an der Piazza Vittorio - Roman
sie? Nutzlose und dumme Fragen.
Donnerstag, 18 . November, 22 . 51 Uhr
Stefania freut sich, dass sie mit dem Italienischunterricht für bengalische Frauen begonnen hat. Gestern sagte sie zu mir: »Bald gründen wir auch die erste Vereinigung bengalischer Feministinnen in Italien!« Ich antwortete, dass das so aber nicht ausgemacht gewesen sei. Sie lachte und fügte hinzu: »Erinnerst du dich nicht an die Worte von Louis Aragon: La femme est le futur de l’homme?« Ich antwortete: »Dann lass ich mich bald nennen wie Le fou d’Elsa: der liebestolle Mann von Stefania.« Ich liebe Stefania, weil sie meine Zukunft ist.
Donnerstag, 2 . Februar, 23 . 13 Uhr
Heute habe ich angefangen, die Aphorismen von Emil Cioran zu lesen. Dieser hier ging mir durch und durch: »Wir bewohnen kein Land, sondern eine Sprache.« Ist die italienische Sprache mein neuer Wohnsitz? Auuuuuu …
Samstag, 24 . Oktober, 22 . 45 Uhr
Stefania könnte sich den Film
Der Scheich
mit Rudolph Valentino immer und immer wieder ansehen. Sie leidet da richtig mit, manchmal habe ich sie sogar weinen sehen. Womöglich wird sie dabei an ihren Vater erinnert, der vor einigen Jahren bei einer Ölbohrung in Libyen starb. Ihr Vater war ein Experte im Auffinden neuer Ölquellen. Stefania glaubt, dass gerade das sein Verhängnis war, dass er als Experte galt. Sie sagt immer, dass die Sahara kein Erbarmen habe mit Menschen, die ihr nicht den gebührenden Respekt erweisen.
Donnerstag, 24 . Juni, 22 . 57 Uhr
Dieser verfluchte Alptraum plagt mich. Stefania hat mir heute Morgen gesagt, ich hätte im Traum laut gesprochen und mehrfach den Namen Bàgia gerufen. Ich wollte ihr keine Einzelheiten erzählen. Es hat ja auch keinen Sinn, sie ins Spiel meiner Alpträume hineinzuziehen. Meine Erinnerung ist wund und blutet; ich muss diese Wunden in aller Stille und Einsamkeit versorgen. Traurig, dass Bàgia nur in meinen Alpträumen lebendig wird, eingewickelt in ein Leintuch voller Blutflecken. Oh, diese offene Wunde, die niemals heilen wird! Außerhalb des Wolfsgeheuls ist kein Trost. Auuuuuu …
Sonntag, 30 . März, 23 . 48 Uhr
Heute Vormittag habe ich den Roman
L’invention du désert
des algerischen Autors Tahar Djaout nochmal gelesen. Lange habe ich über diesen Satz nachgedacht: »Glückliche Menschen haben weder Alter noch Erinnerung; sie brauchen keine Vergangenheit.« Um Trost zu finden, werde ich für den Rest der Nacht singen wie ein Wolf: Auuuuuu …
Die Wahrheit des Abdallah Ben Kadour
Warum hat er bloß zugelassen, dass sie ihn Amedeo nennen? Diese Frage treibt mich wirklich um. Sein richtiger Name ist Ahmed, einer der Namen des Propheten Mohammed und deshalb hochgeachtet; außerdem wird dieser Name sowohl im Koran wie auch im Evangelium genannt. Offen gestanden halte ich nicht viel von Leuten, die ihren Namen ändern oder ihre Wurzeln verleugnen. Ich zum Beispiel weiß, dass mein Name Abdallah ist, und ich weiß auch sehr gut, dass er für Italiener schwer auszusprechen ist. Trotzdem habe ich mir geschworen, ihn nicht zu ändern, solange ich lebe. Ich will weder meinem Vater, der mir diesen Namen gegeben hat, noch Gott gegenüber ungehorsam sein, der es verbietet, den Eltern nicht zu gehorchen. Den Namen zu ändern ist ein Kapitalverbrechen wie Mord, Ehebruch, ein falsches Zeugnis abzulegen oder Waisen zu bestehlen. Viele der Italiener, die ich kenne, haben versucht, mich dazu zu bewegen, einen anderen Namen anzunehmen. Sie schlugen mir eine ganze Reihe italienischer Namen vor wie Alessandro, Francesco, Massimiliano, Guido, Mario, Luca, Pietro und noch viele mehr, doch ich habe das entschieden abgelehnt. Aber es geht ja noch weiter: Ein paar Leute haben es mit dem in Rom sehr verbreiteten Trick probiert, den vorderen oder auch den hinteren Teil meines Namens zu unterschlagen. Ich hörte, wie sie mich Abd nannten, also Sklave. Oder gar Allah! Ich habe zu Gott um Vergebung gebetet, weil er alle Sünden vergibt, nur nicht die Vielgötterei. Ich habe versucht, meine Nerven zu bewahren, als ich ihnen erklärte, dass alle Menschen, einschließlich der Propheten und Gottesboten, seine Diener sind und dass daher mein Name mit der Sklavenherrschaft, wie sie zu Zeiten eines Kunta Kinte weit verbreitet war, rein gar nichts zu tun hat. Und so blieb mir also die Wahl zwischen Pest und Cholera: Entweder schnappt jedesmal, wenn sie mich Allah nennen, über mir die Falle der Vielgötterei zu, oder ich muss es ertragen, dass mich beleidigt, wer mich Abd nennt. Am Ende
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