Krach der Kulturen um einen Fahrstuhl an der Piazza Vittorio - Roman
Monaten.«
»Hattest du in deinem Land Italienischunterricht?«
»Nein.«
In all den Jahren des Unterrichtens ist mir nie ein Schüler wie er untergekommen. Und dann geschah etwas sehr Bedeutsames: Nur eine Woche nach unserem ersten Zusammentreffen träumte ich, ich sei in einem Zelt und läge in den Armen eines Mannes, dessen Gesicht bis auf die Augen verhüllt war. Ich hob den Blick und sagte zu ihm: »Valentino, mein Geliebter!« Er antwortete: »Ich bin nicht Valentino!« Da löste ich das Stoffband um seinen Kopf und sah das Gesicht von Amedeo. Er begann, mich ganz behutsam zu küssen, und mir wurde so warm, als läge mein Körper ausgestreckt auf dem mittäglich warmen Sandstrand. Ich war so glücklich und hoffte, dieser Traum würde nie aufhören. Als ich Amedeo tags darauf sah, dankte ich ihm für die Küsse der vergangenen Nacht und erzählte ihm haarklein von meinem Traum. Er sagte: »Schön ist es, wenn man seine Träume ganz oder wenigstens in Teilen auch in der Realität erleben kann.« Woraufhin ich mir ein Herz fasste: »Wollen wir in die Sahara fahren, uns ein einsames Zelt suchen und auch die anderen Details meines Traums miteinander erleben?« Er antwortete: »Mir würde es besser gefallen, meinen Traum Stück für Stück wahr werden zu lassen statt auf einen Schlag. Jetzt zum Beispiel würde es mir schon genügen, dich zu küssen, um ganz sicher zu gehen, dass ich schon Teil dieses Traums bin.« Er nahm meine Hand und umarmte mich mit einer Zärtlichkeit, die ihresgleichen sucht. Nach ein paar Tagen wurde mein Bett zu diesem schönen Zelt und mein Traum zu Wirklichkeit.
Ich drängte darauf, dass Amedeo zu mir an die Piazza Vittorio zieht. Er zögerte ein wenig, bevor er sich dazu entschloss. Mehr als einmal hatte ich mir überlegt, ob ich mir nicht eine andere Wohnung suchen und von dort weggehen sollte. Ich kann dieses geschwätzige Klatschweib von Benedetta nicht ausstehen, vor allem, weil sie mich hasst, seit ich ein kleines Mädchen war und sie mich für alles verantwortlich machte, was im Haus so passierte. Immer war ich es, die die Klingeln putzte und die Tür vom Aufzug offen stehen ließ. Ich war doch nicht das einzige Kind an der ganzen Piazza Vittorio! Den Professor Antonio Marini mag ich auch nicht, weil er sich aufführt wie ein Hilfssheriff und dauernd nach allen Seiten Verbote und Verwarnungen austeilt. Meine Nachbarin Elisabetta Fabiani behagt mir genausowenig. Dieser dummen Kuh fiel nichts Besseres ein, als ihrem Hündchen den Namen des legendären Valentino zu geben – und der heult die ganze Zeit wie ein Kojote. Einmal beschuldigte sie mich, eine Rassistin zu sein. Da verteidigt man einmal seine Rechte und schon wird einem das Etikett Rassist auf die Stirn geklebt! Eigentlich weiß ich gar nicht, warum sie mich nicht schon längst bezichtigt hat, für das Verschwinden ihres Hundes verantwortlich zu sein.
Ich weiß, dass Amedeo besser italienisch spricht als viele Italiener. Dass er den Zingarelli, sein Wörterbuch, »mein Milchfläschchen« nannte, sagt ja schon alles. Und er war wirklich wie ein Baby, das seiner Mutter an der Brust liegt. Er las laut, um seinen Akzent zu mildern und war nicht beleidigt, wenn ich ihn auf die eine oder andere falsche Aussprache hinwies. Und er wurde nicht müde, sein Wörterbuch zu konsultieren, wenn er schwierige Wörter nicht verstand. Das Italienische war sein täglich Brot.
Drei Monate nach unserer ersten Begegnung beschlossen wir zu heiraten. Wozu warten? Wir liebten uns. Vor der Hochzeit bat mich Amedeo, ihn nichts über seine Vergangenheit zu fragen. Ich habe noch im Ohr, wie er sagte: »Amore mio, meine Erinnerung ist wie ein kaputter Aufzug. Besser gesagt ist meine Vergangenheit sogar wie ein schlummernder Vulkan. Lass uns versuchen, ihn nicht zu wecken und Eruptionen zu vermeiden.« Darauf sagte ich: »Amedeo, amore mio, ich will nicht deine Vergangenheit, sondern deine Gegenwart und unsere Zukunft.« Erst jetzt blicke ich der Wahrheit ins Auge, dass ich nämlich nicht weiß, wer Amedeo ist. Wer war er, bevor er sich in Rom niederließ? Warum hat er sein Heimatland verlassen? Warum gerade Rom? Was liegt in seiner Vergangenheit verborgen? Aus welchem Geheimnis nähren sich die Alpträume, die ihn quälen? Irgendwie ist sein früheres Leben ein großes Mysterium. Vielleicht liegt darin das Geheimnis meiner Leidenschaft für ihn. Eine der schönsten Phasen einer Liebe ist die des Kennenlernens. Man wirft sich in das Meer der Liebe,
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