Kräuterkunde
stattfindet. Riesige Mengen Wasserdampf werden über das Laub verdunstet, steigen zu den Wolken empor und regnen wieder auf die Erde herab, wo sie erneut von den Wurzeln der Pflanzen aufgesogen werden. Eine Birke verdunstet täglich 60 bis 70 Liter Wasser, an heißen Tagen sogar bis zu 400 Liter. (
Hensel 1993:255
) Ein ähnlicher Kreislauf findet mit anderen Gasen statt. Mit Recht kann man sagen, daß die Pflanzenwelt – die Wälder Sibiriens und des Amazonas, ebenso wie die Algenwälder der Meere – Gaias Lunge ist. Die Vegetation nimmt die riesigen Mengen Kohlendioxid (CO 2 ) auf, die die abbauenden Organismen, die Tiere und Pilze, ständig ausatmen. Daraus bauen sich die Pflanzen mit Hilfe der Sonnenenergie ihre Leiber auf, konstruieren das »Kohlenstoffskelett«, das ihren materiellen Leib ausmacht. Bei diesem Aufbauprozeß geben sie ständig Sauerstoff (O 2 ) ab, den Stoff, von dem unser Leben abhängt.
Auch in diesem Punkt ist die Pflanze ein umgekehrtes Spiegelbild des menschlichen beziehungsweise tierischen Organismus. Was das grüne Blatt als Abfall oder Überschuß ausstößt, saugt das rote Blut begierig auf. Schon auf der molekularen Ebene sind das grüne Chlorophyll und der rote Blutstoff (das Hämoglobin) Spiegelbilder. Beide haben haargenau dieselbe molekulare Struktur. Nur befindet sich in der Mitte der vier Pyrrolringe des Chlorophylls ein Magnesiumatom, während in der Mitte des Hämoglobins ein Eisenatom zu finden ist. Hätte die Pflanze Eisen an dieser Stelle, wäre ihr Saft rot, und sie wäre auf dem besten Weg, ein Mikrokosmos zu werden.
Mit dem Eisen hat es seine Bewandtnis. Der Bauernphilosoph Arthur Hermes formulierte es einmal so: »Eisen zieht unser Ich in den Körper hinein und läßt uns als geistige Wesen voll inkarnieren. Das ist bei uns Menschen ebenso der Fall wie bei unserer Mutter Erde. Ein Eisenkern gliedert ihren Leib in zwei magnetische Pole und durchzieht ihn mit jenen Kraftlinien, die der Kompaß registrieren kann. Damit vergleichbar gibt uns das Eisen im Blut einen Bezug zu den Gesetzen des materiellen Raums und ermöglicht unsere irdische, karmische Betätigung. Ohne Eisen könnte das höhere Selbst gar nicht innerhalb der materiellen Dimensionen agieren!« (
Storl 1996:24
) Aber genau das wollen die Pflanzendevas nicht, es steht ihnen nicht zu, sich voll zu inkarnieren, sie bleiben offen dem Makrokosmos zugewandt.
Das grüne Chlorophyll fängt die aus dem Kosmos einströmenden Lichtquanten auf und erlangt dadurch einen derart energetisierten Zustand, daß es die Kraft hat, Wassermoleküle (H 2 O) zu spalten, damit Sauerstoff (O 2 ) in die Atmosphäre gelangt. In einer zweiten Reaktion, ebenfalls im grünen Blatt, wird unter Einbindung des verbliebenen Wasserstoffs (H) das Kohlendioxid (CO 2 ) zu Zucker (C 6 H 12 O 6 ) synthetisiert. Dieser Zucker, der aus Lichtenergie, Wasser und Kohlenstoff hervorgeht, ist die Grundlage für die Ernährung aller Lebewesen. Durch diese
Photosynthese
werden auf diesem Planeten jährlich 100 bis 200 Milliarden Tonnen organischer Materie aufgebaut.
In dieser Photosynthese, von reduktionistischen Wissenschaftlern als rein materielles Geschehen aufgefaßt, sahen die alten Inder ein göttliches Drama. In den verschiedenen Seinsformen erkannten die Weisen der Upanischaden Stationen zur Aufnahme und Weitergabe von Energien (
Prana
). »Brahman – der göttliche Urgrund – ist Nahrung. Nur jene, die wissen, daß sie Gott essen, essen wirklich.« (
Taittireya Upanishad
). Jedes Wesen existiert, um ernährt zu werden und um andere zu ernähren. Pflanzen »verspeisen« kosmische und stellare Energien. Mit ihren Blättern saugen sie die im einströmenden Licht verborgenen Lebenskräfte auf und geben sie an andere Geschöpfe weiter. In den Veden werden Pflanzen als
Aushadhi
bezeichnet; weitläufig übersetzt bedeutet das »Gefäße der brennenden Umwandlung«. (
Lad/Frawley 1988:22
) Demzufolge sind Pflanzen Gefäße für die Metamorphose des kosmischen Feuers. Dieses Feuer, die Liebesstrahlung der Götter, wird durch die Alchimie des Blattgrüns in Nahrung für menschliche und tierische Mikrokosmen umgewandelt. So wird die äußere kosmische Wärme zur Seelenwärme, das Sonnen- und Sternenlicht zum inneren Licht des Bewußtseins. Auf diese Weise erklärt man im
Ayurveda
die Wirkung der Heilkräuter: Die jeweilige Heilpflanze bündelt und vermittelt einen ganz besonderen Aspekt des göttlichen Lichtes. Sie läßt dem Kranken die harmonisierende
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