Kräuterkunde
steht und die Tage kurz sind, ruhen die Pflanzen, als Samen oder Knospen fest in sich zusammengeballt, im Schutze des mütterlichen Erdbodens. Wenn zur Tag/Nachtgleiche eine erstarkende Sonne die Tierkreisregion der Fische durchläuft, erstarkt auch die Vegetation. Zur Mittsommerzeit, wenn die Sonne in den Zwillingen ihren Höhepunkt überschreitet, blüht und gedeiht die Pflanzenwelt in üppiger Fülle. Im Herbst, wenn die Tage kürzer und kühler werden und die Sonne durch die Jungfrau zieht, gilbt und welkt das Grün dahin; die Pflanzen versamen und bereiten sich erneut auf den Winter vor.
Das Zusammenspiel der Sonne und der Vegetation ist uns allen bekannt. Wer aber ist sich dessen bewußt, daß dieser Rhythmus auch unsere persönlichen und kulturellen Rhythmen bestimmt: den Pulsschlag des landwirtschaftlichen Jahres, die Zeiten des Säens, Pflanzens und Erntens, die Abfolge unserer großen Feste? Sie bestimmen ebenfalls die richtigen Zeiten des Sammelns und Bereitens der Heilkräuter.
Differenzierter als der Rhythmus der Sonne ist der des Mondes. Mondphasen (synodischer Mond), Stellung des Mondes im Tierkreis (siderischer Mond), Erdnähe und Erdferne (anomalistischer Mond), aufsteigender und absteigender Mond (tropischer Mond), Mondknoten (drakonischer Mond) – all das wirkt auf das Keimen und Sprießen und auf die Substanzbildung der Vegetation ein. Die Planeten modifizieren ihrerseits die Intensität der Sonnen und Mondeinstrahlung und die dadurch bewirkte Veränderung von Aroma, Farbe und anderen qualitativen Eigenschaften.
Der Gang durch die vier Elemente
Was poetisch als Wandel der Pflanzengöttin durch die acht Stationen des Jahreskreises beschrieben wird, kann auch ganz anders dargestellt werden, nämlich als Wechsel der Vorherrschaft von einem zum anderen der vier klassischen Elemente.
Im Winter, von Samain bis Lichtmeß, ruht die Vegetation. Sie verharrt in die dunkle Erde gebettet als Samen oder Knolle, klammert sich als Rosette so dicht wie möglich an die Bodenoberfläche oder ballt sich fest zur samenkornähnlichen Knospe zusammen. In diesem Ruhezustand ähneln die Pflanzen den Mineralien. Vor allem Stärke, Salze und Mineralien machen ihre chemische Beschaffenheit in dieser Periode aus. All das entspricht dem Elementarzu stand
Erde
.
Mit der Schneeschmelze zwischen Imbolc und Beltene saugen sich die Samen mit erquickendem Wasser voll, keimen, sprießen und sprossen. Mit dem Ergrünen beginnen die jungen Triebe sofort wasserlöslichen Zucker (Glukose) zu produzieren. In diesem Zustand des fließenden Wachstums dominiert das Element
Wasser
.
In den langen lichtgesättigten Tagen des Sommers, zwischen Beltene und Lugnasad, blühen die meisten Gräser und Kräuter. Süßer Nektarduft und – für Heuschupfenleidende weniger erfreulich – ganze Wolken von Blütenstaub schwängern die milde Sommerluft. Die Pflanzenchemie erhält nun einen neuen Impuls. Komplexe Molekularverbindungen, vor allem ätherische Öle und pflanzliche Pheromone werden synthetisiert. Die der Sommerbrise und dem Licht hingegebene Pflanzenwelt wird von den Bildekräften des
Luft
- und
Licht
elements dominiert.
Nach Lugnasad kommt die reifende, dem vegetativen Wachstum ein Ende setzende Kraft des
Feuers
zum Zuge. Chemisch findet das seinen Niederschlag sowohl in der Bildung von Eiweißen und schwereren, fettigen Ölen in Samen und Nüssen als auch in der Ansammlung von Fruchtzucker im Obst.
Planetenleiter
Pflanzen wie die Herbstzeitlose oder die Nieswurz fallen zwar ganz aus diesem Schema; sie blühen im Winter und geben sich eigenartigen Stoffesverwandlungen hin. Das macht sie besonders giftig oder auch besonders heilkräftig. Auch die Vegetation der Tropen folgt anderen Rhythmen (Regenzeit, Trockenperiode usw.), die aber ebenfalls von kosmischen Periodizitäten vorgegeben werden. Die meisten Pflanzenarten unserer Breiten halten sich jedoch an das hier illustrierte Entwicklungsschema.
Dieser Gang durch die Elemente offenbart sich als ein ständiges Werden und Vergehen, als Prozeß des Aufbaus und des Abbaus. Der Aufbau findet vor allem in der ersten Jahreshälfte statt, der Abbau in der zweiten. Dem Wachstum vom unterirdisch keimenden Samen bis hin zur Blüte steht das Vergehen, das Welken und Versamen gegenüber. Es lohnt sich, diesen Vorgang etwas näher, und zwar aus einer ganzheitlichen Perspektive zu betrachten. Bei diesen Ausführungen stütze ich mich vor allem auf die Vision des Arthur Hermes.
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