Kräuterkunde
Blüten- und Blattmuster, in feine ätherische Ole, Düfte, Farben und Wachstumsbewegungen. Die Fähigkeit, »leblose« Elemente – Wasser, Luft und Mineralien – zu beleben und auf ein höheres Schwingungsniveau zu bringen, diese verlebendigende Kraft, gehört auch mit zu dem, was die Pflanzenwelt aus dem Kosmos empfängt.
Dadurch, daß die Pflanzen keine in sich abgekapselten, egozentrischen Mikrokosmen sind, sondern sich bedingungslos dem Makrokosmos gegenüber öffnen, werden sie zu reinen Spiegeln der göttlichen Harmonien. Sie vermitteln die Gedanken der Götter, jede Pflanzenart auf ihre Art. So ist es zu verstehen, daß die indischen Seher, die Rishis, von den Pflanzengeistern als
Devas
, als »himmlische, leuchtende göttliche Wesenheiten« sprachen.
Die Devas der verschiedenen Pflanzenarten sind Archetypen. Sie »überstrahlen« die irdischen Gewächse und geben ihnen ihren Lebensrhythmus, ihre physiologischen, chemischen und morphischen Eigenschaften. Fromme mittelalterliche Gelehrte identifizierten die Geister der jeweiligen Pflanzenart als Lichtengel der Zweiten Hierarchie. Die irdischen Gewächse sind lediglich die Abbilder, die Schatten, die lebendigen, materialisierten Gedanken dieser Engel.
Es sind vor allem diese Pflanzengeister, an die sich Schamanen und Heiler wenden, wenn sie Kräuter und Wurzeln zum Heilen einsetzen wollen. Immer wieder bekommen verblüffte Völkerkundler zu hören: »Wir machen keine blinden Experimente; es sind die Pflanzen selbst, die uns sagen, welche Kräfte sie haben und wie man mit ihnen heilt.« Diese Kommunikation zwischen Mensch und Pflanzendeva erklärtauch, warum Völker, die in verschiedenen Erdteilen leben und nie Kontakt miteinander hatten, dieselben Heilpflanzen ganz ähnlich anwenden.
Die Pflanzengeister sprechen mit dem sich in Trance oder in tiefer Meditation befindlichen Schamanen. »Nicht wir, sondern die Pflanzengeister bestimmen das Ritual und das Medizinlied, das dem Medizinmann erlaubt, mit ihnen Kontakt aufzunehmen«, belehrte mich ein alter Tsistsitas-Pflanzenschamane.
Eine große Zahl von feierlichen Sprüchen und Liedern, die diese Verbindung zu den Devas herstellen, ist aus allen Kulturkreisen überliefert. Der Ojibwa-Medizinmann oder die Medizinfrau sprachen, nachdem sie das gehörige Tabakopfer gebracht hatten, die Pflanze, deren Wurzel sie aushoben, mit folgenden Worten an (
Johnston 1992:108
):
Deine Faser ist weich
,
Deine Säfte sind reich;
Laß uns die Schwachen
Wohl und stark machen
.
Für jede Pflanze gab es beim Pflücken Gebete und Lieder wie die folgenden:
Dein Geist
Mein Geist
,
Mögen sie sich vereinigen und
Einen Geist des Heilens bilden
.
Du hast Schönheit geschenkt
,
Jetzt schenke Gesundheit!
Aufwendige Anrufungen der Pflanzen werden im altindischen
Atharva Veda
überliefert. Ihre Kräfte und ihre Schönheit werden besungen, und weil sie so stark sind, werden sie gebeten, den armen, leidenden Menschen zu helfen.
Wir rufen braune, weiße, gesprenkelte, farbige und schwarze Pflanzen an; sie sollen diesen Menschen vor Krankheiten schützen, die von Göttern ausgesandt werden. Ihr Vater ist der Himmel, ihre Mutter die Erde, Wurzel und Ozean. Himmlische Pflanzen vertreiben sündhafte Krankheiten
...
Mit eurer Macht, ihr Mächtigen, mit der Macht und Kraft, die ihr besitzt, damit möget ihr Pflanzen diesen Menschen von seiner Krankheit erretten. Ich stelle nun das Heilmittel her
.
...
Die weisen Pflanzen mögen hier erscheinen. Sie verstehen, wovon ich spreche, und wir können gemeinsam diesem Menschen seine Gesundheit wiedergeben
.
Sie sind die Güte des Feuers, die Kinder des Wassers, sie wachsen und wachsen wieder nach, starke heilende Pflanzen mit tausend Namen, die alle hier zusammengetragen sind
...
Solche Beschwörungen sind auch unserem Kulturkreis nicht fremd. Zwei Beispiele, eines aus dem Heidentum und eines aus dem christlichen Mittelalter, sollen uns hier genügen.
Erinnere dich, Maythe (Kamille), was du verkündetest
,
Was du vollendetest in Alorford:
Daß nimmermehr ein Mensch durch Ansteckung sein
Leben verlor
,
Seit man ihm Kamillen zu essen gab
.
(Angelsächsischer Neunkräutersegen)
Eberwurz, ich sprech dich an
,
Bist du Frau oder Mann
.
Behalte deine Kraft und Saft
,
Wie die Liebe Frau (Maria)
ihre Jungfernschaft
.
Das grüne Blattwerk ist nicht nur das Auge der Pflanze, es fungiert auch als makrokosmische Lunge, wo ein ständiger Austausch mit der unmittelbaren Atmosphäre
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