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Kräuterkunde

Kräuterkunde

Titel: Kräuterkunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf-Dieter Storl
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ihm. Die höheren Pflanzen bestehen bis zu fast Dreiviertel aus Wurzelmasse. Einige Arten wurzeln sehr tief: Alfalfa bis zu 10 Meter, die Tamarisken in den Sandwüsten des Nahen Ostens bis zu 50 Meter.
    Rege Lebendigkeit charakterisiert den unterirdischen Teil der Vegetation. Die Wurzeln einer einzigen Roggenpflanze wachsen, wenn man die ständig absterbenden und sich neu bildenden, winzigen Wurzelhärchen linear zu sammenaddiert, um die 90 Kilometer pro Tag. Das summiert sich, in der sommerlichen Hauptwachstumsperiode, auf über 10.000 Kilometer (
Huxley 1974:44
). Diese Angaben scheinen übertrieben, und ich würde ihnen keinen Zoll Glauben schenken, hätte ich sie nicht des öfteren in renommierten botanischen Werken wiedergefunden.
    Die Wurzeln und feinen Wurzelhärchen wachsen tastend durch den Boden. Als besäßen sie eine Art übersinnliche Wahrnehmung, spüren sie den Mineralien, Spurenelementen und Wasserquellen nach und nehmen sie sorgfältig selektierend auf.
    Eigentlich kann man kaum sagen, wo im Erdboden eine Pflanze aufhört und eine andere beginnt. Es kommt zu Wurzelverwachsungen (Symphysen) mit anderen Pflanzen der gleichen Art oder sogar mit anderen Arten, wie etwa unter Birken, Ahorn und Ulmen. (
Schad 1987:85
) Auf diese Weise werden »Informationen« in Form chemischer Botenstoffe (Pheromone, Ektohormone) weitergeleitet. So »wissen« benachbarte Tannen, wenn ein Baum von Borkenkäfern befallen ist und stellen ihren Stoffwechsel entsprechend um. Auch werden auf diesem Weg seltene Elemente, etwa Phosphat, an benachbarte Pflanzen weiter gereicht. Das wurde in Versuchen mit radioaktiven Isotopen nachgewiesen.
    Noch eindrucksvoller ist die Tatsache, daß nahezu 90 Prozent der höheren Pflanzen in Symbiose mit Pilzen leben. Die schirm-, kugel- oder hutarigen Gebilde, die im Herbst nach einem Regen aus den Boden schießen, die Egerlinge, Fliegenpilze und Boviste, sind nur die Fortpflanzungsorgane der Pilze. Die eigentlichen Pilze bestehen aus einem amorphen Gewebe feinster, weißer Fäden (Hyphen, Myzelen), das sich über viele Kilometer hinweg teppichartig im Boden vernetzt. Nach Ansicht vieler Biologen sind diese Moderbewohner gar keine richtigen Pflanzen, sondern bilden ein Naturreich für sich. Diese Hyphen verquicken sich mit den feinen Wurzelhärchen der höheren, grünen Pflanzen. Sie wachsen regelrecht in die Wurzelzellen hinein und lassen ihnen Wasser, gelöste Mineralien, Vitamine und Wachstumshormone (Auxine) zukommen. Durch diese Verbindung vergrößert sich die aufnehmende und abgebende Kontaktfläche der grünen Pflanze um ein Tausendfaches. Ohne diese Wurzelpilze, auch
Mykorrhiza
genannt, gäbe es keine Wälder und Wiesen. Ja, es gäbe kaum grüne Vegetation auf der Erde, denn erst die Symbiose mit den Mykorrhizen machte es möglich, daß die ersten Pflanzen, die Abkömmlinge der Meeresalgen, vor 350 Millionen Jahren, im Devon, das feste Land besiedeln konnten.
    Die grünen Pflanzen entgelten es den Pilzen mit der Zufuhr von Zucker. Die Pilze sind geradezu süchtig nach dem süßen Stoff: Glukose ist durch Photosynthese verwandelte Sonnenkraft. Nur so können die lichtscheuen Pilzwesen die Sonne vertragen.
    Die mykorrhizale Vernetzung über viele Hunderte von Quadratkilometern verbindet Bäume, Gräser, Kräuter und Sträucher mit dem ständigen Fluß von chemischen und energetischen Signalen und Informationen, der das Biotop eines Waldes, einer Wiese oder eines Feldes koordiniert und sinnvoll reguliert. Der Ethnobotaniker und Pilzexperte Terence McKenna spricht diesbezüglich von einer »vegetabilen Intelligenz«. Er vergleicht den Waldboden in seiner kybernetischen Komplexität mit unserem Gehirn. Die weißen Mykorrhizen, die den Boden durchziehen, erinnern schon im Aussehen an Nervengewebe. Unser Gehirn besteht aus rund 10 Milliarden Zellen, und jede Zelle hat Verbindung zu circa 25.000 anderen Zellen. Die möglichen Verbindungen gehen ins Astronomische. Ähnlich der durchpilzte Boden des gesunden Ökotops: Wir haben es da mit einem
makrokosmischen
»Nervensystem« zu tun.
    Terence McKenna macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, daß viele Pilze (Kahlköpfe, Fliegenpilze u. a.) hauptsächlich auf das Nervensystem wirken, wenn man sie ißt oder raucht. Nach dem Prinzip »Gleiches wirkt auf Gleiches« verändern oder erweitern sie das Wahrnehmungsvermögen und Bewußtsein des menschlichen Mikrokosmos. Pilze, so glaubt er, waren die Katalysatoren der menschlichen

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