Kräuterkunde
Familienzugehörigkeit kennen. Dazu braucht man ein gutes Bestimmungsbuch. Ein Buch mit klaren, farbigen Illustrationen ist dabei oft wertvoller als abstrakte Bestimmungstabellen, die allzuoft auf die falsche Fährte führen und zudem vom unmittelbaren Erleben der lebendigen Pflanze ablenken.
Die Familienzugehörigkeit einer Pflanzeart zu kennen ist aufschlußreich. Jede Familie hat ihre ganz besonderen Charakteristika. Wenn man auf ein Wolfsmilchgewächs stößt, kann man erwarten, daß es einen gummihaltigen Milchsaft (Latex) enthält. Der Gummibaum, aus dem wir Autoreifen und Gummistiefel machten, gehört dazu. Bei einem Lippenblütler würde es erstaunen, wenn nicht irgendein ätherisches Öl darin enthalten wäre. Mohngewächse wirken fast alle narkotisch oder wenigstens sedativ auf das Nervensystem. Malvengewächse sind schleimhaltig. Brassicagewächse , die Kohlfamilie, erzeugen nicht nur schwefelige Öle, sie sind auch besonders menschenfreundlich und suchen die Nähe des Menschen. Nachtschattengewächse sind Meister der Synthese von Tropanalkaloiden. Und kaum eine Pflanzenfamilie übertrifft die Enziangewächse , wenn es um die Herstellung von Bitterstoffen geht. Auch wenn man die Pflanzenart nicht sofort bestimmen kann, weiß man bereits viel über sie, wenn man ihre Familie kennt.
4. Die Pflanze, die einen anspricht, soll man nicht nur mit den Augen betrachten, sondern mit allen Sinnen in sich aufnehmen. Wie einer (einem) Geliebten sollte man sich ihr öffnen. Man berühre mit liebender, empfindsamer Hand ihre glatten, wachsigen, lederigen oder haarig-filzigen Stengel und Blätter; man fühle die Zartheit der Blütenblätter und jungen Triebe. Man soll sie beschnuppern, den süßen Duft der Blüte, die würzige Frische der Blätter einatmen und auskosten. Der Riechsinn, verbunden mit unserem archaischen Tierhirn, führt uns in profunde Dimensionen des Pflanzenwesens. Auch schmecken soll man die Pflanze, das Blättchen, die Wurzeloder Zweigspitze behutsam kauen und dabei der Wirkung auf Leib und Seele nachspüren.
Nur bei den Giftpflanzen muß man vorsichtig sein. Giftsumach (Poison Ivy) oder der mächtige Mantegazzi Riesenbärenklau ist nicht zum Kosten oder Liebkosen geeignet. Das würde eine schwere Dermatose nach sich ziehen. Hätte man vom gefleckten Schierling gekostet, würde man sich garantiert in der Luft schwebend wiederfinden, ohne die geringste Ahnung, wie man wieder zurück in den Leib kommen soll. Es ist also – genau wie beim Pilzesammeln – wichtig, die giftigen Arten genau zu kennen und sich ihnen besonders behutsam zu nähern. Zum Glück sind die wenigsten Pflanzen wirklich gefährlich. Die meisten, die in den Büchern als giftig beschrieben werden, sind eher ungenießbar. Außerdem warnen die meisten Giftgewächse – ähnlich einer rasselnden Klapperschlange – mit ungewöhnlichen Signaturen, knalligen, abstoßenden Farben, alarmierenden Gerüchen oder absonderlichen Wuchsformen. Schierling sieht schon aufgrund seiner welken, blaß mehligen Blätter und der, an subkutane Blutungen erinnernden, rötlichpurpurgefleckten Stengel giftig aus; dazu kommt ein abstoßender Geruch, der an Mäuseurin erinnert. Auch der Stechapfel schreckt Neugierige mit seinen stacheligen Früchten, seinem rohen Gestank und den an Fledermausflügel erinnernden Blättern ab.
Es gibt aber auch verführerische, heimtückische Giftgewächse wie die Tollkirsche, deren schwarze Beeren angenehm süß schmecken, so daß man, wenn man nicht um ihre Wirkung weiß, gern mehr davon ißt. Einem mir bekannten Alt-Hippie ist das passiert. Er wollte nur einmal kosten, fand die Beeren aber so schmackhaft, daß er etwa 17 aß und erleben mußte, daß er sich nicht mehr vom Waldboden erheben konnte. Zwei grauenvolle Tage verbrachte er dort und hatte alle Mühe sein Herz am Schlagen und seine Lungen am Atmen zu halten, derweil sein Geist sich immer wieder ruckartig an weit entlegene Orte entfernte. Glücklicherweise hat er überlebt, aber er ist durch dieses Erlebnis ein anderer geworden. Der Deva dieses Nachtschattengewächses, der gern als bezaubernd schöne Frau erscheint, behält immer etwas von der Seele desjenigen zurück, der ihm einmal verfallen war. Die alten Angelsachsen hatten einen Namen für solche Gefangene des
Belladonna
-Devas. »Dwaler« nannte man sie, vom altgermanischen »*dwal« (= trödeln, zurückbleiben, in Trance verharren).
Oft sind die ausgesprochenen Giftgewächse in ihrem Jugendstadium schwer zu
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