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Kräuterkunde

Kräuterkunde

Titel: Kräuterkunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf-Dieter Storl
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Nahrungsmittel Heilmittel!« Und der in der gesamten islamischen Welt und auch in Europa als medizinische Autorität anerkannte persische Arzt Rhazes (
Al Rhazi 866-925
) rät seinen Kollegen: »Wenn ihr durch Diät heilen könnt, verschreibt keine anderen Mittel.« Der große Kräuterheiler Maurice Mességué, zu dem Kanzler, Könige und Kardinäle pilgerten, wenn ihnen ihre Leibärzte nicht weiterhelfen konnten, schrieb sogar ein ganzes Buch über den Gebrauch der Gewürzkräuter und Gemüse als effektive Heilmittel. (
Mességué 1972
)
Das Problem der Standardisierung
    »Zugegeben, die Heilpflanzen wirken, aber ist es nicht so, daß der Wirkstoffinhalt beträchtlich schwankt, je nach Standort, Klima, Jahreszeit und Unterrasse der jeweiligen Art? Wäre es da nicht einfacher und besser, synthetische Mittel zu nehmen, denn diese sind standardisiert und lassen sich genaustens dosieren?« So lautet ein beliebter Einwand gegen die galenischen Mittel.
    Nun, die standardisierte Dosis würde Sinn machen, wenn auch der Mensch ein Standardmodell, so etwas wie ein serienmäßig produzierter Roboter wäre. Dann könnten Experten die genaue Quantität des benötigten Treib und Schmierstoffs berechnen. Dem ist aber nicht so. In der traditionellen Heilkunde wird die Zusammenstellung und Dosierung der Heilmittel immer dem kranken Individuum angepaßt. Vielerorts, etwa in Südasien und in den islamischen Ländern, wird das individuelle Horoskop des Patienten bei der Erstellung der Rezeptur mit berücksichtigt. Die Indianer suchen die erforderlichen Heilpflanzen für jeden Patienten neu.
    Die indische Ayurveda berücksichtigt bei der Dosierung und Zusammenstellung der Heilmittel das Naturell (die
Dhosas
= »Humore«) des Patienten. Ein
Pitta
-Typ verlangt andere Mengen und Intensitäten als der
Vata
-Typ oder der
Kapha
-Typ. Auch Dr. Edward Bach, der Entdecker der Blütenessenzen, schreibt, daß bei der Behandlung und Wahl der Heilmittel das psychisch-physiologische Profil des einzelen im Mittelpunkt stehen muß.
    Aber nicht nur die individuelle Sensibilität, auch das Alter des Patienten spielt bei der Dosierung eine Rolle. Die Midewiwin-Ärzte der Ojibwa dosieren die Magenwurz (
Acorus calamus
) nach der Länge des kleinen Fingers des Patienten. Auch das »morphische Feld« (
Sheldrake
), die eingefleischten kulturellen und biologischen Gewohnheiten einer Gesellschaft, müssen bei der Medikation mit in Betracht gezogen werden. Indianer und Araber vertragen tatsächlich viel weniger Alkohol als Europäer. Mangels des Enzyms Beta-Galactosidase vertragen Ostasiaten keine Milch. Für südamerikanische Indianer hat der Tabak psychedelische Wirkung, wohin gegen er sonstwo, in gleichen Dosierungen genossen, nur Übelkeit hervorruft. Und mykophobische Völker wie die Engländer reagieren auf den Verzehr von Fliegenpilzen mit heftiger Übelkeit, während die pilzliebenden Osteuropäer und Sibirier nach dem Genuß der gleichen Mengen keinerlei Beschwerden haben. Im Allgäu, wo das Sanikel (
Sanicula europaea
) seit vielen Generationen als Allheilmittel gesammelt wird, wird der Phytotherapeut damit mehr Erfolg erzielen als etwa in einem Kulturkreis, wo dieses Bergkraut unbekannt ist.
    Zudem müssen wir uns von der mechanistischen Auffassung der Heilmittelwirkung befreien. Der beseelte menschliche Organismus befindet sich im labilen Gleichgewicht, in kybernetischer Homöostasis. Er verhält sich nicht passiv, sondern reagiert aktiv. Er eignet sich die Wirkstoffe an, die er gerade braucht, um eine Homöostasis herzustellen. Diese Tatsache erklärt erstens die
adaptogene
(oder amphotere) Wirkung vieler Heilpflanzen und zweitens das breite Spektrum ihrer Anwendungsmöglichkeiten.
Digitalis

    »Das mag für die mite-Phytotherapeutika zutreffen; da ist eine genaue Dosierung bis in den Nanobereich wahrscheinlich nicht so wichtig. Bei den wirklich toxischen Mitteln, etwa bei den Digitalisglykosiden, ist genauste Dosierung jedoch absolut notwendig, und diese ist nur durch das standardisierte Medikament gewährleistet.« Selbst dieser gewichtige Einwand ist nur bedingt richtig. Digitoxin, das heutzutage synthetisch hergestellte herzwirksame Glykosid, wurde ursprünglich in der Fingerhutpflanze (
Digitalis purpurea
) gefunden. Es wird zur Verbesserung der Kontraktionskraft des Herzmuskels und bei bestimmten Formen der Herzschwäche und Herzmuskelstörung angewendet.
    Die Symptome einer Digitalisvergiftung erfolgen in drei Stadien:
    1.

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