Kräuterkunde
Nebenwirkungen sind unter anderem Knochenbrüchigkeit, Fettablagerungen, erhöhter Blutdruck, Muskelschwächung, gastrointestinale Geschwüre und Psychosen zu beklagen. Ein anderes Thema sind die Synergysmen bei der kombinierten Verabreichung synthetischer Mittel. Kein Arzt kann den Überblick über die ca. 80.000 künstlichen Medikamente behalten. Die Gefahr der Medikamentenvergiftung und der Arzneimittelschäden nimmt ständig zu.
Heidnisch, primitiv, wild und gefährlich
Als die christlichen Missionare sich anschickten, die Welt zu bekehren, geriet die Kräuterkunde in Verruf, denn heidnische Heilpriester und Schamanen waren die Rivalen der Missionare. Sie waren des Teufels, genau wie ihre Kräuter. Heilung für den sündigen Menschen sei nur im Gebet, in der Hostie und im Weihwasser zu finden. Weil das Volk trotzdem zu den Kräuterhexen lief, konnte die Kirche nicht anders, als die Kräuter wieder zuzulassen. Aber nur die Pflanzen der Bibel und diejenigen aus Ländern, in denen die Apostel gewirkt hatten, bekamen ihren Platz im armseligen Hortulus der Klöster. Im Zuge der Inquisition wurden die wahren Kräuterkenner als Teufelsbuhlen bei lebendigem Leibe verbrannt. Die Überlieferung geriet dadurch ernstlich in Gefahr.
Im Schatten der Kirche und immer hart am Rande der Ketzerei bewegte sich die Alchimie. Ihr Anliegen wares, die als unedel empfundene Natur zu läutern und zu vervollkommnen. Die Vorstellung, daß »Blei« in »Gold« verwandelt werden sollte, wurde auch auf die Pflanzen übertragen. Die rohe pflanzliche Materie galt als primitiv, als Ausgangsmaterial, das im Labor spagyrisch digeriert, destilliert, kalziniert und durch andere Prozesse geführt werden muß, um schließlich das Elixier, die Essenz, den Spiritus, das Arkanum, die reine Medizin zu erhalten. Die irrige Vorstellung, daß Kräuter primitiv sind und aus diesem Grund der chemischen Läuterung bedürfen, hat sich bis heute erhalten.
Mit der Aufklärung, die die Rationalität zum höchsten Prinzip erhob, gerieten die einfachen Kräuterheilmittel weiter unter Beschuß. Eine aufgeklärte »heroische« Medizin bevorzugte die »chemischen« Mittel. Hatten nicht die pflanzlichen Mittel, im Gegensatz zum Quecksilber, bei der schrecklichen Lustseuche (Syphilis) versagt? Das wenige, das vom alten Kräuterheilwissen übrigblieb, flüchtete sich nun unter die Fittiche der Kirche, dem letzten Refugium des Irrationalen. Der Taoist würde schmunzeln. So verwandelt sich Yin in Yang: Kräuterpfarrer und blasse Nonnen führten nun den Kampf gegen den aufklärerischen Kahlschlag, rührten Salben und verordneten ihren Schäfchen Kräutertees.
Im selben Maße, in dem sich die gekünstelte Zivilisation von einer naturnahen Lebensweise entfernte, nahm auch die Angst vor der Natur und ihren Geschöpfen zu. Auch unter den Ärzten. Abgesehen von einigen
forte
-Phytoterapeutika, wie Opium, Purgierwinde und Fingerhut, vergaßen die Ärzte ihre besten Verbündeten, die Kräuter. Dabei waren die alten Ärzte, von der Antike bis zur Renaissance, vor allem Kräuterheiler. Sie waren die ersten Botaniker.
Gerade wegen ihrer Ursprünglichkeit, wegen ihrer primitiven Lebenskraft kann die Pflanze heilen. Heilen bedeutet Heilmachen, sich wieder mit dem Ganzen verbinden. Und das kann die Pflanze dank ihrer unmittelbaren Offenheit den Erdkräften, den Elementen, dem Sonnenlicht und den kosmischen Rhythmen gegenüber. Sie kann ihre Ganzheitlichkeit auf den kranken, aus seinem Rhythmus und seiner Mitte gefallenen Menschen übertragen.
In dem Maße, in dem sich die kultivierten Herren der Wissenschaft nicht mehr vom »Lichte der Natur« (Paracelsus) führen ließen, häuften sie Verachtung und Spott nicht nur auf die
Simplicia
, die Kräuter, sondern auch auf die einfachen, oft hellsichtigen Menschen, die einst den Ärzten ihre Heilkräuter brachten. Kräuterweiber und Wurzelschneider wurden als Hinterwäldler und als gefährliche Scharlatane diffamiert, als lästige, »ländlich schändliche« Konkurrenz, die es juristisch zu verfolgen galt.
Typisch ist etwa die sächsische Medizinal- und Apothekerordnung (1673), die den Kräutersammlern und Buckelapothekern ihr Handwerk verbieten wollte. (
Ludwig 1995:91
) Immer wieder wurden im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts thüringische Medikamentenhändler festgenommen, mit Stockhieben traktiert und ihre Kräuter, Tinkturen und Balsame beschlagnahmt.
An der Situation hat sich bis heute wenig geändert. Der britische
Medical
Weitere Kostenlose Bücher