Kräuterkunde
herumreichte, auch nur zu berühren. Als er dann von »Marskräften« in den Brennesseln und »Saturnwirkungen« im
prairie sage
(Steppenbeifuß) hörte, war die Sache klar: Er hielt mich für einen harmlosen Spinner. Peinlich war, daß sich, wie ich später erfuhr, unter den Zuhörern viele unzufriedene Patienten dieses Doktors befanden.
Die Teilnehmer waren zunehmend begeistert von den Möglichkeiten einer natürlichen Medizin, die ihnen bis dahin vorenthalten geblieben war. Ein nettes Pärchen, das im 7. Lebensjahrzehnt den zweiten Frühling erlebte, zeigte sich besonders aufgeschlossen. Vor allem über Liebesund Verjüngungskräuter wollten sie etwas erfahren.
Eines Tages jedoch reichten sie mir, sichtlich niedergeschlagen, einen Artikel, den sie in der Familienzeitschrift,
Living Today
gefunden hatten. Die in dicken Lettern gedruckte Überschrift lautete: »Die Gefahren der Kräutertees«. Der Verfasser, ein Dr. Lewis, Dozent an der Washington Universität in St. Louis, warnte eindringlich vor Kräutern. Kamillentee könne bei Heuschnupfenasthmatikern einen gefährlichen Schock auslösen. Sennesblättertee verursache starke, zuweilen sogar tödlich verlaufende Durchfälle... »Leider«, schrieb der Lobbyist, »ist sich das amerikanische Publikum der Gefahren dieser Produkte nicht bewußt. Viele der angebotenen pflanzlichen Produkte sind noch nicht getestet worden; ihr Einfluß auf den Körper ist noch nicht völlig geklärt; ihre Wirkung ist den Konsumenten vielfach nicht bekannt.« Am Ende des Artikels schlug er die Gründung eines Meldesystems zum Schutz der Verbraucher vor, das den Ärzten erlauben würde, der staatlichen Zentrale für Krankheitskontrolle (Government Center for Disease Control), jeden Vorfall einer Erkrankung, die von Kräutern herrührt, zu melden. Auf diese Weise könne die Öffentlichkeit vor den gefährlicheren Kräutern gewarnt werden.
»Das ist doch glatte Angstmacherei«, versuchte ich das Pärchen zu beruhigen, »und es trägt die Handschrift der Pharmalobby!«
»Ich leide an Heuschnupfen und trinke auch oft Kamillentee, aber ich habe nie deswegen einen Schock erlitten«, pflichtete eine andere Kursteilnehmerin bei. »Und was die Sennesblätter betrifft, natürlich können sie Durchfall verursachen – das sollen sie ja auch; deswegen werden sie ja als harmloses Abführmittel verschrieben!«
Es nützte aber alles nichts. Die beiden erschienen nicht mehr im Kurs. Die Warnung seitens höherer Autorität, die schwarz auf weiß gedruckte professorale Mahnung, hatte sie in ihre Grenzen verwiesen. Der Ausflug in die verbotenen Gefilde einer naturnahen Medizin war beendet.
Stimmt es wirklich, daß Heilkräuter unerprobt sind, daß sie noch aufwendiger Forschung bedürfen, ehe sie von den Autoritäten zum Gebrauch freigegeben werden können? Sicherlich nicht! Kräuter werden schon seit Jahrhunderten angewendet, synthetische Medikamente hingegen selten lange genug, um mit Gewißheit sagen zu können, wie sie sich im Organismus verhalten. Trotz Rattentests gab es den
Contergan
-Skandal. Das synthetische Hormon
DES
(Diethystilbesterol), das man schwangeren Frauen zur Verhütung eines vorzeitigen Aborts verschrieb, wurde jahrelang mit allen Mitteln geprüft. Erst in der nächsten Generation stellten sich die Nebenwirkung heraus: Scheidenkrebs bei den Mädchen und Unterentwicklung der Genitalien bei den Jungen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt steht der Hersteller des Schmerzmittels
Dolantin
vor einem Brüsseler Gericht. Das Mittel, das u. a. Müttern bei der Entbindung gespritzt wird, verursacht Hirnschädigungen bei Föten.
Und wie steht es mit den, seit den fünfziger Jahren massiv angewendeten, Wunderwaffen gegen Bakterien, den Antibiotika? Bei akuten Entzündungszuständen haben sie zwar viele Leben gerettet, inzwischen weiß man jedoch, daß sie langfristig das Immunsystem schwächen. Sie stören das delikate Gleichgewicht der körpereigenen Flora, können zur Superinfektion (Überhandnahme eines virulenten Erregers) und zur Verpilzung (
Candida
) führen. Das hemmungslose Verschreiben, etwa unnötigerweise bei viralen Infektionen, hat dazu geführt, daß immer neuere superresistente Bakterienstämme gezüchtet werden, die nun die Menschen bedrohen. In den USA starben allein im Jahre 1992 13.300 Menschen an Infektionen, obwohl sämtliche Antibiotika versucht wurden. Und wie verhält es sich mit den Steroidhormonen und den Kortisonbomben, die so leichtfertig verschrieben werden? Als
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