Kraft des Bösen
entfernt. Das Gesicht des einen war abgewandt und fast im Schnee vergraben, so daß Harod nur kurzes, dunkles Haar erkennen konnte, das sich bewegte, wenn Wind aufkam, aber bei dem anderen, der auf dem Rücken lag, konnte man eine blasse Wange und ein offenes, weißes Auge erkennen, das zur Reihe der Nadelbäume herübersah, als würde es auf Harods Eintreffen warten. Harod vermutete, daß sie noch nicht lange tot waren. Es sah nicht aus, als hätten sich schon Vögel oder Waldtiere an ihnen gütlich getan.
»Verschwinden wir von hier, Tony.«
»Verdammt, sei still.« Harod ließ das Fernglas sinken und dachte nach. Von dieser Stelle konnten sie die andere Seite des Herrenhauses nicht einsehen. Wenn sie sich dem Haus nähern wollten, schien es sinnvoll zu sein, im Wald zu bleiben und auf Skiern einen großen Kreis zurückzulegen, damit sie es von allen Seiten einsehen konnten. Harod sah blinzelnd auf die große Lichtung hinaus. In beiden Richtungen erstreckten sich Bäume; es würde eine Stunde oder länger dauern, sich in den Wald zurückzuziehen und vorsichtig wieder anzupirschen. Wolken waren vor die Sonne gezogen, kalter Wind aufgekommen. Es fing zaghaft an zu schneien. Harods Jeans waren nach den Stürzen durchgeweicht, seine Beine schmerzten nach der ungewohnten Anstrengung. Das trübe Licht vermittelte einen Eindruck von Abenddämmerung, obwohl es noch nicht einmal Mittag war.
»Verschwinden wir von hier, Tony.« Maria Chens Stimme klang nicht flehend oder ängstlich, nur gelassen beharrlich.
»Gib mir die Waffe«, sagte er. Als sie sie aus dem Hosenbund gezogen und ihm gegeben hatte, deutete er damit zum grauen Himmel und den schwarzen Bündeln der Leichen. »Geh da rauf«, sagte er. »Mit den Skiern. Ich gebe dir Deckung von hier. Ich glaube, das verfluchte Haus ist verlassen.«
Maria Chen sah ihn an. Ihre dunklen Augen drückten weder Verwunderung noch Wut aus, nur Neugier, als hätte sie ihn vorher noch nie gesehen.
»Los doch«, schnappte Harod und senkte die Automatik, war aber nicht sicher, was er machen würde, wenn sie sich weigerte.
Maria Chen drehte sich um, schob die vorhängenden Äste der Fichten mit einer anmutigen Bewegung ihres Skistocks beiseite und lief auf Skiern auf das Haus zu. Harod duckte sich und ging von der Stelle weg, wo sie gestanden hatten, bis er schließlich hinter einem breiten Hartholzbaum inmitten junger Kiefern stehenblieb. Er hob das Fernglas. Maria Chen hatte die Leichen erreicht. Sie blieb stehen, steckte beide Stöcke in den Boden und sah zum Haus. Dann sah sie zu der Stelle zurück, wo sie Harod zurückgelassen hatte, fuhr zum Haus, verweilte vor der breiten Verandatür und wandte sich dann nach rechts, um das ganze Herrenhaus einmal auf Skiern zu umrunden. Sie verschwand hinter der rechten Seite des Gebäudes - der am nächsten zur Zufahrtsstraße gelegenen Ecke -, da schnallte Harod die Skier ab und duckte sich auf einer trockenen Stelle unter dem Baum.
Eine absurd lange Zeit schien zu vergehen, bis sie auf der anderen Seite des Hauses wiederauftauchte, zur Verandatür zurückglitt und zu der Stelle winkte, wo sie Harod noch wähnte.
Harod wartete geduckt noch einmal zwei Minuten, dann lief er gleichermaßen geduckt auf das Haus zu. Er hatte gedacht, er könnte ohne die Skier besser manövrieren. Das war ein Irrtum. Der Schnee reichte ihm nur bis zu den Knien, behinderte ihn aber und brachte ihn zum Stolpern; er konnte zehn Schritte auf der gefrorenen Kruste zurücklegen, dann brach er ein und mußte vorwärtskriechen. Er stürzte dreimal, einmal ließ er dabei die Automatik in den Schnee fallen. Er vergewisserte sich, daß der Lauf nicht verstopft war, strich Schnee vom Griff und stolperte weiter.
Bei den Leichen hielt er inne.
Tony Harod hatte achtundzwanzig Filme produziert, bis auf drei alle zusammen mit Willi. Sämtliche achtundzwanzig Filme enthielten Elemente von Sex und Gewalt, häufig waren beide miteinander verschmolzen. Die fünf Walpurgisnacht -Filme - Harods erfolgreichste Unternehmungen - waren wenig mehr als eine Abfolge von Morden an überwiegend attraktiven jungen Paaren, vor, während oder nach dem Geschlechtsverkehr. Die Morde wurden vorwiegend mit subjektiver Kamera aufgenommen, die den Blickwinkel des Mörders simulierte. Harod hatte während der Dreharbeiten häufig im Studio vorbeigeschaut und gesehen, wie Menschen erstochen, erschossen, gepfählt verbrannt, ausgeweidet und geköpft wurden. Er hatte sich die Spezialeffekte so lange
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