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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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angesehen, bis er alles über Blutbeutel, Airbags, ausgedrückte Augen und Hydraulik wußte. Er hatte höchstpersönlich die Szene in Walpurgisnacht V: Der Alptraum geht weiter geschrieben, bei der der Kopf der Babysitterin in tausend Fetzen zerplatzt nachdem sie die Explosivkapsel schluckte, die Golon, der maskierte Mörder, ausgetauscht hatte.
    Dennoch hatte Tony Harod noch nie ein richtiges Mordopfer gesehen. Die einzigen Leichen, in deren Nähe er je gekommen war, waren seine Mutter und Tante Mira in ihren parfümierten Särgen gewesen, gemildert durch die Anwesenheit der Trauernden und die Umgebung der Leichenhalle. Beim Begräbnis seiner Mutter war Harod neun gewesen; bei dem von Tante Mira dreizehn. Den Tod von Harods Vater hatte nie jemand erwähnt.
    Auf einen der Männer, die vor dem Familienstammsitz von Willi Borden lagen, hatte man fünf- oder sechsmal geschossen; dem anderen war die Kehle aufgeschlitzt worden. Beide waren verblutet. Die Menge des Blutes kam Harod absurd vor, als hätte ein übereifriger Regisseur eimerweise rote Farbe auf die Kulisse geschüttet. Allein als er die Leichen, das Blut und die Abdrücke im Schnee sah, glaubte Harod, die Szene teilweise rekonstruieren zu können. Ein Helikopter war etwa dreißig Meter von dem Haus entfernt gelandet. Diese beiden waren mit ihren polierten schwarzen Straßenschuhen herausgekommen und zu der Terrassentür gegangen. Auf den Steinplatten hatten sie zu streiten angefangen. Harod konnte sich den Kleineren der beiden vorstellen, der mit dem Gesicht im Schnee lag, wie er plötzlich herumwirbelnd und sich beißend und krallend auf seinen Partner stürzte. Der größere Mann war zurückgewichen Harod konnte die Abdrücke von Absätzen im Schnee erkennen -, dann hatte er die Luger gehoben und mehrmals gefeuert. Der kleinere Mann war weiter auf ihn eingedrungen, möglicherweise sogar nachdem er ihm ins Gesicht geschossen hatte. Der kleinere Leichnam hatte zwei zerfetzte, blutige Löcher in der rechten Wange. Außerdem steckte ihm noch ein Fetzen Muskelgewebe und Knorpel zwischen den gefletschten Zähnen. Der größere Mann war mehrere Schritte weit gestolpert, nachdem der Kleine gestürzt war; dann war auch er gestürzt, als hätte er nun zum erstenmal bemerkt, daß seine Kehle halb fehlte, seine Arterie zerrissen war und Blut in die deutsche Luft pumpte, und der Kehlkopf herausgerissen worden war; er war hingefallen, herumgerollt und gestorben, während er zu dem Fichtendickicht hinübersah, wo Harod und Maria Chen Stunden später auftauchen sollten. Der Arm des großen Mannes war halb erhoben, gepackt vom formenden Griff der Leichenstarre. Harod wußte, die Leichenstarre begann und endete eine gewisse Anzahl von Stunden nach dem Tod; wie lange, daran konnte er sich nicht erinnern. Es war ihm auch egal. Er hatte sich die beiden Männer vorgestellt, wie sie gemeinsam aus dem Helikopter ausstiegen und gemeinsam starben. Die Fußspuren waren kein endgültiger Beweis dafür. Auch das war Harod egal. Eine weitere Reihe Fußspuren von der Terrassentür zur freigewehten Stelle, bei der es sich um den Landeplatz handeln konnte, ließ erkennen, wo mehrere Menschen das Haus verlassen hatten und mit dem Helikopter geflohen waren. Es gab keinen Hinweis darauf, woher der Helikopter gekommen war, wer ihn geflogen hatte, wer aus dem Haus zugestiegen war und wohin er flog. Harod war es egal.
    »Tony?« rief Maria Chen leise.
    »Moment noch«, sagte Harod. Er drehte sich um, stolperte von dem großen Kreis aus Blut weg und erbrach sich in den Schnee. Er bückte sich tief und schmeckte wieder den Kaffee und die fetten deutschen Würste, die er zum Frühstück gehabt hatte. Als er fertig war, hob er etwas sauberen Schnee auf, wusch sich den Mund damit, erhob sich, machte einen großen Bogen um die Leichen und gesellte sich zu Maria Chen auf der Terrasse.
    »Die Tür ist nicht abgeschlossen«, flüsterte sie.
    Harod konnte nur Vorhänge durch das Glas erkennen. Es schneite jetzt ziemlich stark, die großen Flocken verbargen die sechzig Meter entfernte Baumreihe. Harod nickte und holte Luft. »Geh hin und hol die Waffe von dem Typen«, sagte er. »Und such nach Ausweisen.«
    Maria Chen sah Harod einen Moment an und fuhr auf Skiern zu den Leichen. Sie mußte die Hand des größeren Leichnams aufbrechen, damit sie die Waffe nehmen konnte. Der größere Mann hatte einen Ausweis in der Brieftasche; der andere Mann hatte einen Geldclip und eine Kennkarte in der Manteltasche.

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