Kraft des Bösen
Maria Chen ihm mit der Neun-Millimeter-Browning in der Handtasche gegenübersaß, schien das Unmögliche nur allzu wahrscheinlich zu sein.
»Was ist mit Tom und Jensen?« fragte Maria Chen, Sie trug modische blaue Cordknickerbocker, Strümpfe, einen rosa Pulli und einen schweren blau-rosa Skipullover, der sechshundert Dollar gekostet hatte. Das dunkle Haar hatte sie zu einem kurzen Pferdeschwanz zurückgebunden, und selbst mit dem aufgelegten Make-up sah sie frisch und geschrubbt aus. Harod fand, sie sah wie eine eurasische Pfadfinderin aus, die sich für einen eintägigen Skiausflug mit den Freunden ihres Dads herausgeputzt hatte.
»Wenn du sie eliminieren mußt, dann Tom zuerst«, sagte er ihr. »Willi >benützt< Reynolds eher als den Nigger. Aber Luhar ist stark - sehr stark. Sieh zu, daß er liegenbleibt, wenn er liegt. Wenn es hart auf hart geht, mußt du Willi als ersten erledigen. In den Kopf. Wenn du ihn eliminierst, sind Reynolds und Luhar keine Gefahr mehr. Die sind so gut konditioniert, daß sie ohne Willis Einverständnis nicht pissen gehen können.«
Maria Chen blinzelte und sah sich um. An den anderen vier Tischen saßen lachende, geschwätzige deutsche Pärchen. Niemand schien Harods leise Anweisungen gehört zu haben.
Harod winkte die Kellnerin, ließ Kaffee nachschenken, trank von dem schwarzen Gebräu und runzelte die Stirn. Er wußte nicht, ob Maria Chen seinen Anweisungen Folge leisten würde, wenn es darum ging, Menschen zu erschießen. Er ging davon aus, daß sie es tun würde - sie hatte noch niemals einen Befehl mißachtet -, aber einen Moment wünschte er sich, er hätte eine Frau dabei, die keine >Neutrale< war. Aber wenn seine Agentin nicht neutral war, bestand immer die Gefahr, daß Willi sie umkrempeln und selbst >benützen< konnte. Harod machte sich keine Illusionen, was die >Gabe< des alten Teutonen anbetraf - allein die Tatsache, daß Willi zwei Handlanger um sich gehabt hatte, bewies das Ausmaß der Macht des Dreckskerls. Harod war wirklich überzeugt gewesen, daß Willis >Gabe< nachgelassen hatte - beeinträchtigt von Alter, Drogen und jahrelanger Dekadenz -, aber angesichts jüngster Entwicklungen war es verrückt und gefährlich gewesen, weiter von dieser Annahme auszugehen. Harod schüttelte den Kopf. Gottverdammt. Dieser beschissene Island Club hatte ihm schon das Messer auf die Brust gesetzt. Harod hatte nicht die geringste Lust, sich mit dieser alten Schlampe aus Charleston einzulassen. Mit jemandem, der dieses Scheißspiel fünfzig Jahre lang mit Willi Borden - von Borchert, wie auch immer der Name lauten mochte - gespielt hatte, wollte Tony Harod lieber nichts zu tun haben. Und was würden Barent und seine Scheißkumpane machen, wenn sie herausfanden, daß Willi noch lebte? Wenn er noch lebte. Harod erinnerte sich an seine Reaktion vor sechs Tagen, als der Anruf ihn vom Tod Willis informiert hatte. Zuerst kam eine Woge der Besorgnis - Was war mit allen Projekten, die Willi angekurbelt hatte? Was war mit dem Geld? -, dann die Erleichterung. Der alte Hurensohn war endlich tot. Harod hatte jahrelang unter heimlicher Todesangst gelitten, der alte Mann könnte etwas über den Island Club herausfinden, über Tonys Bespitzelungen ...
»Ich habe mir das Paradies immer als wunderschöne Insel vorgestellt, wo man nach Herzenslust >jagen< kann, hm, Tony?« Hatte Willi das wirklich auf dem Videoband gesagt? Hirod erinnerte sich an das Gefühl, als wäre er in Eiswasser getaucht worden, das ihn überkam, als Willi diese Worte gesprochen hatte. Aber Willi konnte es unmöglich gewußt haben. Und außerdem war die Videoaufzeichnung vor dem Flugzeugabsturz gemacht worden. Willi war tot.
Und wenn er dabei nicht getötet worden war, dachte Harod, würde er es bald werden. »Fertig?« sagte er.
Maria Chen tupfte sich die Lippen mit einer Stoffserviette ab und nickte.
»Gehen wir«, sagte Tony Harod.
»Und das ist die Tschechoslowakei?« sagte Harod. Als sie den Ort in nordwestlicher Richtung verließen, konnte er am Bahnhof vorbei einen Schlagbaum, ein kleines weißes Gebäude und mehrere Wachen mit grünen Umformen und seltsam geformten Helmen sehen. Auf einem kleinen Schild an der Straße stand Grenzübergang.
»So ist es«, stimmte Maria Chen zu.
»Tolle Sache«, sagte Harod. Er fuhr die kurvenreiche Bergstraße entlang, vorbei an Hinweisschildern zum Großen Arber und dem Kleinen Arbersee. Auf einem fernen Berg konnte er die weiße Spur einer Skipiste und die fahrenden Punkte
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