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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Maria Chen mußte beide Leichen im Schnee herumdrehen, damit sie fand, was Harod wollte. Als sie zur Terrasse zurückkam, waren ihr blauer Pullover und die Steppjacke blutbespritzt. Sie kickte die Ski weg und rieb Schnee auf Arme und Jacke.
    Harod sah Geldclip und Pässe durch. Der größere Mann hieß Frank Lee, internationaler Führerschein, momentaner Wohnsitz München, ein drei Jahre alter Führerschein aus Miami war auf denselben Namen ausgestellt. Der andere Mann war Ellis Rober Sloan, 32 Jahre alt, wohnhaft in New York, Visum und Reisepaß mit Stempeln in Westdeutschland, Belgien und Österreich. Achthundert Dollar amerikanisches Geld und sechshundert deutsche Mark waren in dem Geldclip. Harod schüttelte den Kopf und warf die drei Sachen auf die Platten. Sie hatten nichts Wichtiges ergeben - er wußte, er drückte sich und zögerte das Betreten des Hauses hinaus.
    »Komm mit«, sagte er und trat ein.
    Das Herrenhaus war groß, kalt, dunkel und - hoffte Harod verzweifelt - verlassen. Er wollte nicht mehr mit Willi sprechen.
    Er wußte, wenn er seinen alten Mentor aus Hollywood sah, würde er als erstes das Magazin der Browning in Willis Kopf leerschießen. Wenn Willi es zuließ. Tony Harod machte sich keinerlei Illusionen über seine >Gabe< im Vergleich zu der von Willi. Harod erzählte Barent und den anderen vielleicht von Willis nachlassenden Kräften - und meinte es teilweise sogar ernst -, aber er wußte in seinem tiefsten Inneren, daß Willi Borden selbst in seinen geschwächtesten Stunden Tony Harod binnen zehn Sekunden überwältigen konnte. Der alte Dreckskerl war ein Monster. Harod wünschte sich, er wäre nicht nach Deutschland gekommen, hätte Kalifornien nie verlassen, hätte sich nie von Barent und den anderen überreden lassen, Bekanntschaft mit Willi zu schließen. »Sei auf der Hut«, flüsterte er beschwörend, unsinnig, und führte Maria Chen tiefer in den dunklen Steinhaufen hinein.
    In einem Zimmer nach dem anderen waren der Möbelstücke fein säuberlich mit Laken abgedeckt. Wie die Leichen draußen hatte Harod auch das schon in unzähligen Filmen gesehen, aber in Wirklichkeit war die Wirkung nervenaufreibend. Harod stellte fest daß er die Automatik auf jeden zugedeckten Sessel und jede Lampe richtete und darauf wartete, daß sie aufstehen und auf ihn zugestapft kommen würden wie die verhüllte Gestalt in Carpenters erstem Halloween-Film.

Die große Diele war riesig, schwarzweiß gefliest und verlassen. Harod und Maria Chen traten leise auf, dennoch hallten ihre Schritte. Harod kam sich in seinen Langlaufskistiefeln mit den breiten Zehenkappen wie ein Arsch vor. Maria Chen folgte ihm gelassen und hielt die blutige Luger an der Seite. Ihre Miene verriet keinerlei Nervosität, so als würde sie auf der Suche nach einer Zeitschrift durch Harods Villa in Hollywood gehen.
    Harod brauchte fünfzehn Minuten, bis er sich vergewissert hatte, daß sich niemand im Erdgeschoß oder dem hallenden, weiträumigen Keller aufhielt. Dem riesigen Haus war eine Aura des Verlassenen eigen; wären die Leichen draußen nicht gewesen, Harod hätte geschworen, daß sich seit Jahren niemand mehr in dem Gebäude aufgehalten hatte. »Nach oben«, flüsterte er, ohne die Automatik zu senken. Seine Knöchel waren weiß.
    Der Westflügel war dunkel, kalt und nicht einmal möbliert, aber als sie den Flur zum Ostflügel betraten, blieben sowohl Harod als auch Maria Chen wie angewurzelt stehen. Auf den ersten Blick schien der Flur mit einer riesigen Scheibe welligen Eises abgesperrt zu sein - Harod mußte an die Szene denken, als Schiwago und Laura in das vom Winter verwüstete Landhaus zurückkehren -, aber Harod ging zaghaft weiter und stellte fest, daß das spärliche Licht von einer dünnen, durchscheinenden Plastikplane reflektiert wurde, die an der Decke eingehängt und an einer Wand abgedichtet worden war. Nach sechs Schritten wurden sie von einer zweiten klaren Plastikplane aufgehalten. Es handelte sich um eine Wärmedämmung, eine simple Isolierung, die den Ostflügel abtrennte. Der Flur war dunkel, aber fahles Licht fiel durch mehrere offene Türen des fünfzehn Meter langen Flurs herein. Harod nickte Maria Chen zu und schlich mit gespreizten Beinen und um die Automatik verkrampften Fingern verstohlen weiter. Er wirbelte um Türen herum, war feuerbereit, wachsam und behende wie eine Katze. Bilder von Charles Bronson und Clint Eastwood tanzten in seinem Kopf. Maria Chen stand in der Nähe des Plastikvorhangs

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