Kraft des Bösen
Brille herunter, wischte sie ab und setzte sie wieder auf. »Erscheint Ihnen beiden das, was ich gesagt habe, nicht ... fantastisch?«
»Auf jeden Fall«, sagte Gentry, »aber ich finde es auch reichlich fantastisch, daß in meiner Heimatstadt neun Menschen ermordet wurden und ich keine Ahnung habe, in welchem Zusammenhang die Morde miteinander stehen.« Der Sheriff beugte sich nach vorn. »Haben Sie das vorher schon einmal jemandem erzählt? Die ganze Geschichte, meine ich.«
Saul kratzte sich den Bart. »Meiner Cousine Rebecca«, sagte er leise. »Kurz vor ihrem Tod 1960.«
»Hat sie Ihnen geglaubt?« fragte Gentry.
Saul sah dem Sheriff in die Augen. »Sie hatte mich gern. Sie hatte mich kurz nach dem Krieg gesehen und wieder aufgepäppelt. Sie glaubte mir. Sie sagte, daß sie mir glaubte, und ich beschloß, ihr zu glauben. Aber weshalb sollten Sie so eine Geschichte akzeptieren?«
Natalie sagte nichts. Gentry lehnte sich auf dem Stuhl zurück, bis das Holz unter seinem Gewicht ächzte. »Nun, was mich betrifft, Professor«, sagte er, »muß ich zwei Schwächen eingestehen. Erstens, ich neige dazu, die Leute danach einzuschätzen, was für ein Gefühl ich bei ihnen habe, wie sie rüberkommen. Nehmen Sie zum Beispiel diesen FBI-Mann, den Sie gestern in meinem Büro kennengelernt haben - Dickie Haines -, ich meine, was er sagt, ist richtig und logisch, jedenfalls vordergründig. Er sieht richtig aus. Er riecht sogar richtig, verdammt. Aber er hat so was an sich, was mir nicht gefällt, und darum traue ich ihm nicht mehr als einem hungrigen Wiesel. Unser Mr. Haines ist irgendwie nicht vollständig bei uns. Ich meine, sein Verandalicht ist eingeschaltet, aber es ist niemand zu Hause, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ist bei vielen Leuten so. Wenn ich jemandem begegne, dem ich glaube, dann glaube ich ihm einfach, so ist das. Bringt mich immer wieder in Riesenschwierigkeiten.
Zweite Schwäche: Ich lese eine Menge. Nicht verheiratet.
Keine Hobbys, außer meinem Beruf. Früher wollte ich Historiker werden ... dann Autor populärwissenschaftlicher Werke wie Catton oder Tuchman ... dann möglicherweise Romancier. Letztendlich war ich zu träge dazu, aber lesen tue ich immer noch tonnenweise. Und ich mag Schrott. Daher habe ich eine Abmachung mit mir selbst getroffen - für jedes ernste Buch, das ich lese, gönne ich mir ein bißchen Schrott. Gut geschriebenen Schrott, bitte ich zu bedenken, aber trotzdem Schrott. Darum lese ich Krimis - John D. MacDonald, Parker, Westlake ich lese Thriller - Ludlum und Trevanian und LeCarre und Deighton, und ich lese das Gruselzeug - Stephen King, Steve Rasnic Tem - solche Sachen.« Er lächelte Saul an. »Ihre Geschichte ist nicht so seltsam.«
Saul sah den Sheriff stirnrunzelnd an. »Mr. Gentry, wollen Sie damit sagen, weil sie fantastische Literatur lesen, kommt Ihnen meine fantastische Geschichte gar nicht fantastisch vor?«
Gentry schüttelte den Kopf. »Nein, Sir, ich sage nur, was Sie erzählt haben, paßt zu den Tatsachen und ist die erste Theorie, die alle Morde in Zusammenhang bringt.«
»Haines hatte eine Theorie über Thorne«, sagte Saul. »Den Diener der alten Dame - der sich angeblich mit dieser Kramer zusammengetan haben soll, damit sie ihre Arbeitgeber bestehlen konnten.«
»Haines ist ein Arschloch, bitte die Ausdrucksweise zu entschuldigen, Ma’am«, sagte Gentry. »Und es ist vollkommen unmöglich, daß Albert LaFollette, der Page im Mansard House, mit irgend jemand unter einer Decke gesteckt hat. Ich kannte Alberts Vater. Der Junge war kaum helle genug, sich selbst die Schnürsenkel zu binden, aber er war ein netter Kerl. Er hat an der High-School nicht Football gespielt und seinem Dad gesagt, er würde es nicht machen, weil er niemandem weh tun wollte.«
»Aber meine Geschichte liegt außerhalb der Logik - im Übernatürlichen«, sagte Saul. Er kam sich albern vor, so mit dem Sheriff zu zanken, aber er konnte es nicht hinnehmen, daß der Südstaatler ihn so rückhaltlos akzeptierte.
Gentry zuckte die Achseln. »In diesen Vampirfilmen, wo sie überall Leichen mit zwei Löchern im Hals stapeln und alles, und manche Leichen wieder zum Leben erwachen und alles, stinkt mir immer ganz besonders, wenn der gute Held neunzig Minuten des zweistündigen Films braucht, nur um die anderen guten Jungs zu überzeugen, daß es die Vampire wirklich gibt.«
Saul rieb sich den Bart.
»Sehen Sie«, sagte Gentry leise, »was für Gründe Sie auch bewogen haben mögen, Sie
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