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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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der schwarze Springer war über die starre Reihe der Bauern gesprungen und nahm am
    Gefecht teil. Harod drehte die Figur ein Stück herum und erkannte die verkniffenen und zimperlichen Gesichtszüge von Nieman Trask.
    Das biedere, altjüngferliche Gesicht der weißen Dame kannte Harod nicht, aber er zweifelte kaum an ihrer Identität. »Wir werden sie finden«, hatte Barent gesagt. »Wir wollen nur, daß Sie das Flittchen töten.« Die weiße Dame und zwei weiße Bauern standen tief in der schwarzen Seite des Spielbretts. Harod kannte den Bauern nicht, der von bedrohlichen schwarzen Spielsteinen umgeben zu sein schien; es schien sich um einen Mann um die Fünfzig oder Sechzig mit Bart und Brille zu handeln. Bei dem Gesicht mußte Harod Jude denken. A>er der andere weiße Bauer, der vier Felder von Willis Springer entfernt stand und scheinbar Angriffen mehrerer schwarzer Figuren gleichzeitig ausgesetzt zu sein schien - dieser Bauer war, als er langsam umgedreht wurde, sofort zu erkennen. Tony Harod sah in sein eigenes Gesicht.
    »Scheiße!« Harods Aufschrei schien durch das riesige Haus zu hallen. Er schrie noch einmal und schlug mit dem Lauf der Browning einmal, zweimal, dreimal über das Brett, so daß die Figuren aus Elfenbein und Ebenholz auf den Boden fielen.
    Maria Chen wich zurück und wandte den Blick dem Fenster zu. Draußen schien auch der letzte Rest Tageslicht geflohen zu sein, die Wolken hingen immer tiefer, die dunkle Baumreihe verschwand in grauem Nebel, und der dichte Schneefall bedeckte sanft die beiden Leichen, die wie umgestürzte Schachfiguren auf dem Rasen des Herrenhauses lagen.

 

12 Kapitel
     
    Charleston: Donnerstag, 18. Dezember 1980
     
    »Ich finde, es müßte schneien«, sagte Saul Laski.
    Die drei saßen in Sheriff Gentrys Auto: Saul und Gentry vorn, Natalie auf dem Rücksitz. Es regnete leicht, die Temperatur lag um die fünfzehn Grad. Natalie und Gentry trugen Jacken, Saul hatte einen alten, dicken Pullover unter einer Tweedjacke angezogen. Jetzt schob er mit dem Zeigefinger die Brille den Nasenrücken hinauf und sah blinzelnd zur regennassen Windschutzscheibe hinaus. »Sechs Tage bis Weihnachten«, sagte er, »und kein Schnee. Ich weiß nicht, wie ihr Südstaatler euch daran gewöhnt.«
    »Ich war sieben Jahre alt, als ich zum erstenmal Schnee gesehen habe«, sagte Bobby Joe Gentry. »Sie haben die Schule ausfallen lassen. Lagen nicht einmal zwei Zentimeter auf dem Boden, aber wir sind alle nach Hause gerannt, als wäre das Ende der Welt gekommen. Ich habe einen Schneeball geworfen
    - den ersten, den ich je gemacht hatte - und damit die Wohnzimmerfensterscheibe der alten Miz McGilvrey zertrümmert. Für mich war es fast das Ende der Welt. Als mein Daddy nach Hause kam, wartete ich schon fast drei Stunden, hatte das Essen ausfallen lassen und alles. Ich war froh, als ich die Prügel bekam und es überstanden hatte.« Gentry drückte auf einen Knopf, worauf die Scheibenwischer sich einmal, zweimal bewegten und dann klickend wieder zurücksanken. Die plötzlich klaren Halbrunde auf der Windschutzscheibe waren gleich wieder mit Regentropfen gesprenkelt. »Ja, Sir«, sagte Gentry mit seinem tiefen, irgendwie angenehmen Brummen, das Laski schon sehr vertraut war. »Wenn ich Schnee sehe, muß ich immer an Prügel denken und den Versuch, nicht zu weinen. Mir scheint, als würden die Winter immer kälter werden und es
    häufiger schneien.«
    »Ist dieser Doktor schon da?« fragte Natalie vom Rücksitz.
    »Nee. Noch drei Minuten bis vier«, sagte Gentry. »Calhoun wird alt, macht ein bißchen langsamer, hab’ ich gehört, aber er ist pünktlich wie Omas alte Wanduhr. Und so regelmäßig wie eine Katze, die Pflaumen frißt. Wenn er sagt, daß er um vier da ist, dann ist er um vier da.«
    Wie um diese Bemerkung zu bekräftigen, hielt ein langer, dunkler Cadillac an und parkte in eine Lücke vier oder fünf Autos vor Gentrys Streifenwagen ein.
    Saul sah an dem Gebäude hinauf. Das mehrere Meilen von der schicken Altstadt entfernt gelegene Bauwerk war attraktiv und verband die Eleganz des Alten mit dem Reiz modernen Komforts. Eine alte Konservenfabrik war in eine Kombination von Wohneinheiten und Büros umgewandelt worden - man hatte Fenster und Garagen hinzugefügt, die alten Backsteine mit Sandstrahl gereinigt und Holzteile ergänzt, erneuert und gestrichen. Saul hatte den Eindruck, als wären die Restaurierungsarbeiten mit viel Sorgfalt durchgeführt worden. »Sind Sie sicher, daß Alicias

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