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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Eltern sich dazu bereit erklären werden?« fragte er.
    Gentry nahm den Hut ab und strich mit dem Taschentuch über das Lederband im Innern. »Mehr als bereit«, sagte er. »Mrs. Kaiser ist krank vor Sorge um das Mädchen. Sie sagt, Alicia ißt nichts mehr, wacht schreiend auf, wenn sie schlafen will, und sitzt meistens nur da und starrt vor sich hin.«
    »Es ist erst sechs Tage her, seit sie mit ansehen mußte, wie ihre beste Freundin ermordet wurde«, sagte Ntalie. »Armes Kind.«
    »Und der Großpapa ihrer besten Freundin«, sagte Gentry. »Und möglicherweise noch ein paar Leute, wer weiß.«
    »Glauben Sie, daß sie im Mansard House gewesen ist?« fragte Saul.
    »Niemand kann sich erinnern, sie gesehen zu haben«, sagte der Sheriff, »aber das hat nix zu sagen. Wenn sie nicht eigens ausgebildet sind, kriegen die Leute kaum was von dem mit, was um sie herum vorgeht. Manche natürlich schon - manche bemerken alles. Nur sind die dummerweise nie am Schauplatz von Verbrechen.«
    »Alicia wurde in der Nähe des Schauplatzes gefunden, richtig?« fragte Saul.
    »Genau zwischen den beiden Knüllern«, sagte Gentry. »Eine Dame aus der Nachbarschaft hat sie weinend und benommen an der Straßenecke stehen sehen, auf halbem Weg zwischen dem Haus der Fuller und dem Mansard House.«
    »Heilt ihr Arm?« fragte Natalie.
    Gentry drehte sich zu der Frau auf dem Rücksitz um. Er lächelte, und seine kleinen blauen Augen schienen heller als das trübe Winterlicht draußen. »Klar doch, Ma’am. Einfacher Bruch.«
    »Noch ein Ma’am von Ihnen, Sheriff«, sagte Natalie, »und ich breche Ihren Arm.«
    »Ja, Ma’am«, sagte Gentry ohne ersichtliche Boshaftigkeit. Er sah wieder zur Windschutzscheibe hinaus. »Tatsächlich, das ist der olle Doc D. Er hat sich dieses elende schwarze Schlachtschiff gekauft, als er vor dem Zweiten Weltkrieg nach England rüber ist. Sommervorlesungen im London City Hospital, glaube ich. Er gehörte zum Katastrophenschutzteam vor dem Krieg. Ich weiß noch, er hat meinem Onkel Lee vor Jahren gesagt, daß sich die britischen Ärzte auf ein Hundertfaches der Verwundeten pro Woche eingestellt hatten, als sie dann tatsächlich bekamen, nachdem die Deutschen mit den Bombenangriffen angefangen hatten. Ich will nicht sagen, daß sie auf mehr vorbereitet gewesen wären - aber sie hatten mehr erwartet.«
    »Hat Ihr Doktor Calhoun viel Erfahrungen mit Hypnose?« fragte Saul.
    »Das will ich meinen«, brummte Gentry. »Er ist seit 1939 ja rübergegangen, um das den Briten beizubringen. Manche Experten dort waren der Meinung, die Bombardierung könnte so traumatisch werden, daß sämtliche Zivilisten einen Schock erleiden würden. Sie haben geglaubt Jack könnte ihnen mit seiner posthypnotischen Suggestion und all so was helfen.« Er wollte die Tür aufmachen. »Kommen Sie mit, Miz Preston?«
    »Auf jeden Fall«, sagte Natalie und stieg in den Regen hinaus.
    Gentry stieg aus und hielt inne. Der sanfte Regen trommelte ihm auf die Hutkrempe. »Sicher, daß Sie nicht mitkommen wollen, Professor?«
    »Nein, ich möchte nicht dabeisein«, sagte Saul. »Ich möchte das Risiko, daß ich mich störend auswirke, nicht eingehen. Aber ich bin schon gespannt, was das Kind zu sagen hat.«
    »Ich auch«, sagte Gentry. »Ich werde versuchen, unvoreingenommen zu sein, was auch passieren mag.« Er schlug die Tür zu und lief - anmutig für einen so schweren Mann - hinter Natalie Preston her.
    Unvoreingenommen, dachte Saul. Ja, ich glaube, das bist du. Wirklich und wahrhaftig.
    »Ich glaube Ihnen«, hatte Sheriff Bobby Joe Gentry gesagt, als Saul tags zuvor mit seiner Geschichte fertig gewesen war.
    Saul hatte die Geschichte, soweit es ging, zusammengefaßt und die Schilderung, die fast den ganzen Vormittag und den vorangegangenen Abend erfordert hatte, zu einem fünfundvier- zigminütigen Abriß gestrafft. Natalie hatte ihn mehrmals unterbrochen und gebeten, eine Stelle zu erzählen, die er ausgelassen hatte. Gentry stellte einige knappe Fragen. Sie aßen zu Mittag, während Saul erzählte. Nach einer Stunde war die Geschichte zu Ende, das Essen verspeist, und Sheriff Gentry hatte nur genickt und gesagt: »Ich glaube Ihnen.«
    Saul blinzelte. »Einfach so?« fragte er.
    Gentry nickte. »Woll.« Der Sheriff drehte sich zu Natalie um. »Haben Sie ihm geglaubt, Miz Preston?«
    Die junge Frau zögerte nur einen Augenblick. »Ja.« Sie sah Saul an. »Ich glaube ihm noch.«
    Gentry sagte nichts mehr.
    Saul zupfte an seinem Bart, nahm die

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