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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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wie um ihre Gleichgültigkeit dem Südstaatenstil gegenüber unter Beweis zu stellen, eine endlose Abfolge von Industrieanlagen und einförmigen Reihenhäusern. In der Nähe eines großen Stadions verließen wir die Interstate. Die Straßen der Innenstadt waren verlassen. Ich ließ mich von meinem Fahrer zu der Bank bringen, die mein Ziel war, aber deren dunkle Glasfassade vergrößerte meine Frustration nur noch. Damals schien es ein gutes Vorgehen zu sein, die Dokumente meiner neuen Identität in einem Bankschließfach zu verwahren; woher hätte ich wissen sollen, daß ich sie an einem Sonntagmorgen um halb vier brauchen würde?
    Ich wünschte, ich hätte im gewalttätigen Trubel des Tages meine Handtasche nicht verloren. Die Taschen meines braunen Regenmantels wölbten sich, weil ich alles aus meinem ruinierten Mantel hineingestopft hatte. Ich sah in meine Brieftasche und vergewisserte mich, daß der Schließfachschlüssel und meine Bankcard noch da waren. Waren sie. Ich ließ meinen Fahrer mehrmals im Kreis durch die Innenstadt fahren, doch das schien eine sinnlose Vorgehensweise zu sein. An den meisten Kreuzungen blinkten die gelben Lichter, gelegentlich fuhr ein Polizeiauto vorbei, dessen Auspuffabgase wie Dampf in der kalten Luft emporstiegen.
    Es gab mehrere anständige Hotels in der Innenstadt nahe meiner Bank, aber mein zerzaustes Äußeres und die Tatsache, daß ich kein Gepäck dabei hatte, schlossen diese als mögliche Nachtquartiere aus. Ich befahl meinem Fahrer, diesmal ohne gesprochene Worte, auf eine andere Schnellstraße zu den Vororten zu fahren. Wir brauchten noch einmal vierzig Minuten, bis wir ein Motel mit der Aufschrift >Zimmer frei< gefunden hatten. Wir fuhren nach einem grünen Hinweisschild ab, auf dem Sandy Springs stand, und näherten uns einem dieser heruntergekommenen Etablissements mit Namen wie Super 8 oder Motel 6 oder so einem Unsinn, als wären die Leute zu debil, sich an einen Namen ohne hinzugefügte Nummer zu erinnern. Ich überlegte mir, ob ich meinen Fahrer hineinschicken sollte, um uns einzutragen, aber das hätte sich als schwierig erwiesen; es hätte sich eine Unterhaltung entwickeln können, und ich war zu müde, ihn derart reibungslos zu >benützen<. Es tat mir leid, daß ich keine Zeit gehabt hatte, ihn hinreichend zu konditionieren, aber das war nicht zu ändern. Letztendlich kämmte ich mir das Haar, so gut ich konnte, vor dem Rückspiegel, ging hinein und meldete uns selbst an. An der Rezeption saß eine verschlafene junge Frau mit kurzen Hosen und einem fleckigen T-Shirt der Mercer University. Ich erfand Namen, Anschrift und Autonummer, aber die Frau machte sich nicht einmal die Mühe, nach draußen zu sehen, wo der Chrysler im Leerlauf wartete. Wie bei schäbigen Absteigen dieser Prägung üblich, verlangte sie Zahlung im voraus.
    »Eine Nacht?« fragte sie.
    »Zwei«, sagte ich. »Mein Mann ist morgen den ganzen Tag unterwegs. Er ist Vertreter von Coca-Cola und besucht die Fabrik. Ich habe vor ...«
    »Dreiundsechzig Dollar und fünfundachtzig Cent«, sagte sie.
    Es gab Zeiten, da hätte meine Familie für diese Summe eine ganze Woche in einem luxuriösen Hotel in Maine logieren können. Ich bezahlte die Frau.
    Sie gab mir einen Schlüssel an einem Bund in Form einer Pinie aus Plastik. »Einundzwanzig-sechzehn. Fahrnse ganz rum und parkense bei’n Mülltonnen hinten.«
    Wir fuhren ganz herum und parkten bei den Mülltonnen. Der Parkplatz war grotesk überbelegt, mehrere Wohnwagen parkten am hinteren Zaun. Ich schloß die Zimmertür auf und ging zum Auto zurück.
    Der Fahrer hing zusammengekauert über dem Lenkrad und zitterte. Seine Stirn war schweißbedeckt, er mahlte mit den Kiefern und bemühte sich, aus dem winzigen Raum zu entkommen, in den ich seinen Willen eingesperrt hatte. Ich war sehr müde, aber meine Kontrolle blieb eisenhart. Mr. Thorne fehlte mir. Ich hatte es jahrelang nicht nötig gehabt, meine Wünsche laut auszusprechen, damit sie erfüllt würden. Es war überaus frustrierend, diesen kleinen, übergewichtigen Mann zu >benützen<, als hätte man es mit Blech zu tun, wo man gewöhnt war, Edelmetalle zu formen. Ich zögerte. Es hatte Vorteile, wenn ich ihn bis Montag behielt, nicht zuletzt das Automobil.
    Aber die Risiken überwogen die Vorteile. Möglicherweise hatte man sein Verschwinden schon bemerkt. Vielleicht suchte die Polizei bereits nach dem Auto. Das alles war entscheidend, aber den Ausschlag gab letztendlich meine schreckliche

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