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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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pflegte! < anpries. Die Speisekarte war vollgestopft mit Randbemerkungen und atemlosen Ausrufungszeichen. In der Randspalte wurde erklärt, worum es sich bei den aufgeführten Südstaatenköstlichkeiten handelte, und Yankeetouristen wurden aufgefordert, wagemutig zu sein. Ich überlegte mir, wie seltsam es war, daß die kümmerliche Diät von Menschen, die zu arm oder unwissend waren, gut zu essen, zu traditionellen >Spezialitäten< der nächsten Generation werden konnte. Ich bestellte Tee und ein englisches Brötchen und wartete eine halbe Stunde darauf, daß es serviert wurde, derweil ich hirnloses Gequatsche und Schmatzen einer Großfamilie von Tölpeln aus dem Norden am Nebentisch mit anhören mußte. Ich überlegte mir nicht zum ersten Mal, daß es besser um das geistige Wohlbefinden der Nation bestellt wäre, wenn man gesetzlich verfügen würde, daß Kinder und Erwachsene in getrennten öffentlichen Etablissements essen müßten.
    Als ich ins Motel zurückkam, war es dunkel. Weil ich nichts Besseres zu tun hatte, schaltete ich den Fernseher ein. Es war über zehn Jahre her, seit ich zum letzten Mal ferngesehen hatte, aber nur wenig hatte sich verändert. Die hirnlos brutalen Zusammenstöße des Football-Spiels füllten einen Kanal. Der >Bildungskanal< schilderte mir mehr, als ich je wissen wollte, die Ästhetik des Sumo-Ringens. Mein dritter Versuch lieferte einen mehrmals unterbrochenen Fernsehfilm über einen Ring von Teenagerprostituierten und einen jungen, männlichen Sozialarbeiter, der fest entschlossen war, die Heldin vor einem solchen Leben der Erniedrigung zu retten. Die idiotische Sendung erinnerte mich an die skandalträchtigen Detektivgroschenhefte, die in meiner Jugend so populär waren: indem sie schockierendes, tabuisiertes Verhalten anprangern - damals war es freie Liebe, heute das, was die Medien meines Wissens >Lolita-Pornos< nennen -, ermöglichen sie uns, daß wir uns an den aufreizenden Einzelheiten ergötzen können.
    Der letzte Kanal brachte Lokalnachrichten.
    Die junge, farbige Nachrichtensprecherin lächelte die ganze Zeit, während sie die Meldung über das sogenannte >Charleston-Massaker< verlas. Die Polizei suchte nach Verdächtigen und Motiven. Zeugen hatten das Gemetzel in einem bekannten Hotel von Charleston beschrieben. State Police und FBI interessierten sich für den Verbleib einer Mrs. Fuller, langansässige Einwohnerin von Charleston und Arbeitgeberin eines der Opfer. Es existierten keine Fotos von der Dame. Die ganze Meldung dauerte nicht einmal fünfundvierzig Sekunden.
    Ich schaltete den Fernseher ab, machte das Licht aus und lag zitternd in der Dunkelheit. In achtundvierzig Stunden, sagte ich mir, würde ich sicher und behaglich in meiner Villa in Südfrankreich sitzen. Ich schloß die Augen und versuchte, mir die kleinen weißen Blumen vorzustellen, die zwischen den Pflastersteinen auf dem Weg zum Brunnen wuchsen. Einen Augenblick konnte ich beinahe die salzige Frische riechen, welche Sommerstürme aus dem Süden heranwehten. Ich dachte an die Ziegeldächer des nahe gelegenen Dorfs, rote und grüne Trapezoeder, die zwischen den grünen Rechtecken der Haine des Tals zu sehen waren. Über diese angenehmen Bilder legte sich plötzlich mein letzter Eindruck von Nina, ungläubig aufgerissene Augen, Mund etwas offen, das Loch in der Stirn nicht beängstigender als eine Schliere, die sie gleich mit ihren langen, manikürten Fingern wegstreichen würde. Dann floß das Blut in meinen Träumen vor dem Einschlafen, aber nicht nur aus der Wunde, sondern auch aus Ninas Mund und Nase und den großen, vorwurfsvollen Augen.
    Ich zog die Decke straff bis unters Kinn und konzentrierte mich darauf, an gar nichts zu denken.
    Ich mußte unbedingt eine Handtasche haben. Aber wenn ich das Taxi bezahlen wollte, das mich zur Bank brachte, blieb mir nicht genügend Geld für eine Handtasche. Und doch konnte ich ohne Handtasche unmöglich zur Bank gehen. Ich zählte noch einmal das Bargeld in der Brieftasche, aber selbst wenn ich das Kleingeld mitrechnete, reichte es nicht. Während ich so im Motelzimmer stand, hupte das Taxi, das ich gerufen hatte, ungeduldig auf dem Parkplatz.
    Ich löste das Problem, indem ich den Fahrer auf dem Weg zur Innenstadt vor einem Discount-Drugstore halten ließ. Ich kaufte eine durch und durch scheußliche >Einkaufstasche< für sieben Dollar. Die Taxifahrt, einschließlich der Pause, während ich mein Schmuckstück gekauft hatte, kostete etwas über dreizehn Dollar.

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