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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Müdigkeit, die mein vorheriges Hochgefühl verdrängt hatte. Ich mußte schlafen, mich von den Verletzungen und Anstrengungen dieses alptraumhaften Tages erholen. Ohne hinreichende Konditionierung konnte ich mich nicht darauf verlassen, daß der Fahrer passiv blieb, während ich schlief.
    Ich beugte mich dicht über ihn und berührte ihn mit der Hand sanft im Nacken. »Du wirst zur Interstate zurückkehren«, flüsterte ich, »um die Stadt herumfahren. Jedesmal, wenn du an einer Ausfahrt vorbeikommst, fährst du zehn Meilen schneller. Wenn du die vierte Ausfahrt passiert hast, machst du die Augen zu und erst wieder auf, wenn ich es dir befehle. Nicke, wenn du verstanden hast.«
    Der Mann nickte. Seine Augen waren glasig und leer. Selbst wenn ich es gewollt hätte, wäre mit dem keine anständige >Speisung< möglich gewesen.
    »Geh«, sagte ich.
    Ich sah dem Chrysler nach, wie er den Parkplatz verließ und nach links Richtung Schnellstraße abbog. Wenn ich die Augen zumachte, konnte ich die lange Motorhaube sehen, das Gleißen entgegenkommender Scheinwerfer und die Katzenaugen am Straßenrand, die zurückblieben, während das Auto beschleunigte. Ich konnte das Vibrieren der Heizung und das Kratzen seines Wollpullovers auf den bloßen Unterarmen spüren. Ich hatte den schalen Geschmack von Zigarren im Mund. Erschauernd zog ich meine Präsenz ein wenig zurück. Der Fahrer beschleunigte reibungslos auf 65 Stundenmeilen, als er an der ersten Ausfahrt vorbeikam. Er war jetzt mehrere Meilen entfernt, und meine Wahrnehmung wurde schwächer und vermengte sich mit den Geräuschen des Parkplatzes und des Windes in meinem Gesicht. Den Augenblick, als das Auto fünfundneunzig S t undenmeilen erreicht hatte und der Fahrer die Augen zumachte, bekam ich nur noch vage mit.
    Das Motelzimmer war so häßlich zweckdienlich, wie ich es mir vorgestellt hatte. Einerlei. Ich zog den Regenmantel und das zerrissene Kleid aus. Der Schnitt an meiner linken Seite war kaum mehr als ein Kratzer, aber das Kleid und der Slip waren ruiniert. Der Schnitt am linken kleinen Finger pochte weitaus schmerzhafter als der an der Seite. Ich wehrte mich so lange gegen den Schlaf, bis ich ein heißes Bad genommen und mir das Haar gewaschen hatte. Hinterher setzte ich mich in zwei Handtücher gehüllt hin und weinte. Ich hatte nicht einmal ein Nachthemd oder Unterwäsche zum Wechseln dabei. Ich hatte keine Zahnbürste. Die Bank würde erst am Montagmorgen öffnen, in mehr als vierundzwanzig Stunden. Ich saß da, weinte und fühlte mich alt, hilflos und verlassen. Ich wollte nach Hause, in meinem eigenen Bett schlafen und mir am Morgen von Mr. Thorne Kaffee und Croissants bringen lassen, wie immer. Aber es gab kein Zurück. Mein Schluchzen entsprach mehr dem eines ausgesetzten Kindes als einer Frau meines Alters.
    Nach einer Weile legte ich mich immer noch in die Handtücher gewickelt auf die Seite, zog die Decke hoch und schlief.
    Gegen Mittag wachte ich kurz auf, als ein Zimmermädchen hereinkommen wollte. Ich ging ins Bad, holte mir etwas zu trinken, vermied es, das Bild im Spiegel anzusehen, und ging wieder ins Bett. Das Zimmer war dunkel hinter den Jalousien, der Ventilator schnurrte leise, und ich legte mich wieder schlafen, wie sich ein verwundetes Tier in die Dunkelheit seines Baus zurückzieht. An Träume kann ich mich nicht erinnern.
    An diesem Abend stand ich immer noch benommen und mit mehr Schmerzen als am Vortag auf und versuchte, mein Äußeres aufzumöbeln. Ich konnte wenig tun. Das bedruckte Kleid war ruiniert, ich mußte, wenn möglich, den Regenmantel anlassen. Ich hätte dringend einen Friseur gebraucht. Trotz alledem leuchtete meine Haut, war sie glatt, wo zuvor Falten das Wirken der Zeit verraten hatten. Ich fühlte mich jünger. Trotz der Schrecken des vergangenen Tages hatte mir die >Speisung< gutgetan.
    Auf der anderen Seite des endlosen Parkplatzes befand sich ein Restaurant. Ein unmenschlicher Ort - grellere Lichter als in einem Operationssaal, rotkarierte Plastiktischdecken, die noch feucht waren, weil der Kellner sie gerade erst mit seinem schmutzigen Schwamm abgewischt hatte, sowie riesige Plastikspeisekarten mit Fotos der >Spezialitäten< des Hauses. Ich vermutete, die Fotografien waren für die Analphabeten unter den Kunden gedacht, die die schwülstige Prosa nicht entziffern konnten, welche >köstliche, knusprigbraune Bratkartoffeln<, und >ewige Südstaatenklassiker, Maismehl- und Haferschrotfladen, wie Großmutter sie zu machen

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