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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Ich gab dem Fahrer einen Dollar und behielt den letzten Dollar als Talisman.
    Ich muß schon einen Anblick geboten haben, wie ich so auf dem Gehweg stand und darauf wartete, daß die Bank aufmachte. Meine Frisur war nicht mehr zu retten. Ich trug kein Makeup. Den braunen Regenmantel, der noch leicht nach Schießpulver roch, hatte ich bis zum Kragen zugeknöpft. Mit der rechten Hand hielt ich die steife Strohtasche umklammert. Nur Turnschuhe fehlten, und das Bild einer Frau, die die Leute heutzutage wohl üblicherweise >Pennerin< nennen, wäre vollständig gewesen. Da erst stellte ich fest, daß ich immer noch die flachen Halbschuhe trug, die durchaus eine gewisse Ähnlichkeit mit Turnschuhen aufwiesen.
    Unglaublicherweise erkannte mich der stellvertretende Filialleiter und schien hoch erfreut, mich zu sehen. »Ah, Mrs. Straughn«, sagte er, als ich mich zaghaft seinem Schreibtisch näherte, »welch eine Freude, Sie wiederzusehen!«
    Ich war verblüfft. Seit meinem letzten Besuch bei dieser Bank waren fast zwei Jahre vergangen. Mein Sparkonto war nicht so groß, daß ich diese übertriebene Aufmerksamkeit verdient gehabt hätte. Einige panische Sekunden glaubte ich, die Polizei wäre bereits hier gewesen und es handele sich um eine Falle. Ich sah zu den Kunden und Schalterbeamten und fragte mich, welche davon Zivilbeamte sein mochten, als mir das entspannte Gebaren und das zufriedene Grinsen des stellvertretenden Filialleiters auffielen. Ich ließ den Atem in einem langen Zug entweichen. Ich hatte es mit einem Mann zu tun, der stolz darauf war, sich an die Namen seiner Kunden zu erinnern, mehr nicht.
    »Es ist lange her«, sagte er liebenswürdig und warf einen raschen Blick auf mein Äußeres.
    »Zwei Jahre«, sagte ich.
    »Geht es Ihrem Mann gut?«
    Meinem Mann? Ich versuchte mich verzweifelt daran zu erinnern, was für eine Geschichte ich ihm bei früheren Besuchen aufgetischt hatte. Ich hatte nie erwähnt ... ich zuckte zusammen und merkte, daß er von dem großen, kahlen Herrn sprach, der jedesmal bei meinen letzten Besuchen schweigend an meiner Seite gestanden hatte. »Ah«, sagte ich, »Sie meinen Mr. Thorne, meinen Sekretär. Leider arbeitet Mr. Thorne nicht mehr für mich. Was Mr. Straughn betrifft, der starb 1956 an Krebs.«
    »Oh«, sagte der stellvertretende Filialleiter, dessen rosiges Gesicht noch dunkler wurde. »Tut mir leid.«
    Ich nickte, worauf wir beide einige Sekunden im Gedenken an den imaginären Mr. Straughn schwiegen.
    »Nun, was können wir heute für Sie tun, Mrs. Straughn?« fragte er. »Eine Einzahlung, hoffe ich.«
    »Ich fürchte, ich werde ab heben«, sagte ich. »Aber zuvor möchte ich gerne mein Schließfach sehen.«
    Ich reichte ihm die entsprechende Karte und achtete sorgfältig darauf, daß ich sie nicht mit einer des halben Dutzends anderer Bankcards verwechselte, die ich schon so lange in meiner Brieftasche mit mir herumtrug. Wir brachten das feierliche Ritual der beiden Schlüssel hinter uns. Dann befand ich mich allein in dem kleinen Beichtstuhl von einem Raum und klappte den Deckel zu meinem neuen Leben auf.
    Der Paß war vier Jahre alt, aber noch gültig. Es handelte sich um einen Bicentennial-Paß aus dem zweihundertsten Jahr mit rot-blauem Hintergrund auf dem Papier -, und der Herr im Postamt von Atlanta hatte mir gesagt, daß die eines Tages etwas wert sein würden. Das Geld, zwölftausend Dollar in verschiedenen Werten, war ebenfalls noch gültig. Und schwer. Ich stopfte die Noten in die ausgebeulte Handtasche und betete, daß das billige Stroh nicht reißen würde. Die auf Mrs. Straughn ausgestellten Wertpapiere und Aktien waren für meine momentane Situation nicht relevant, paßten aber prima über den Wulst der Banknoten. Die Schlüssel des Ford Granada ließ ich unbeachtet. Ich hatte nicht die Absicht, die Mühe auf mich zu nehmen und das Auto aus seiner Verwahrung zu holen, außerdem würden Fragen gestellt werden, wenn man es auf dem Parkplatz des Flughafens entdeckte. Zuletzt befand sich nur noch die kleine Beretta in der Box, die für Mr. Thornes Gebrauch gedacht gewesen war, sollte es erforderlich sein, aber wo ich hinging, würde ich sie nicht brauchen.
    Wo ich meiner Meinung nach hingehen würde.
    Nachdem ich die Box mit derselben Beerdigungsfeierlichkeit wie beim vorherigen Ritual zurückgegeben hatte, stellte ich mich vor dem Kassenschalter an.
    »Sie wollen die ganzen Zehntausend alle auf einmal?« fragte das kaugummikauende Mädchen hinter den

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