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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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und dachte über Familie und über Rache und über Angst nach. Er stellte seine eigene Ethik in Frage - nicht seine geistige Gesundheit -, weil er zwei Gojim in etwas hineingezogen hatte, das niemals ihr Kampf sein konnte.
    Er entschied, daß er ins Hotel zurückkehren würde, wo er lange duschen und etwas in dem Buch von Mortimer Adler lesen wollte. Wenn die Gebühren billiger waren, würde er Charleston anrufen und wenn möglich mit Natalie und dem Sheriff sprechen. Er würde ihnen sagen, daß sein Treffen gut verlaufen war; daß er jetzt wußte, der Produzent, der beim Flugzeugunglück von Charleston ums Leben gekommen war, war nicht der deutsche Standartenführer gewesen, der in seinen Alpträumen spukte. Er würde eingestehen, daß er in letzter Zeit unter einer großen Belastung gestanden hatte und sie ihre eigenen Schlußfolgerungen über seine Analyse von Nina Drayton und die Ereignisse in Charleston ziehen lassen.
    Saul stand immer noch vor dem Gemälde des Mädchens mit Strohhut und hing seinen Gedanken nach, als eine leise Stimme hinter ihm sagte: »Ein sehr schönes Bild, nicht? Es scheint so traurig, daß das Mädchen, das dafür Modell gestanden hat, inzwischen tot und verfault sein muß.«
    Saul wirbelte herum. Francis Harrington stand mit seltsam funkelnden Augen und einem fleckigen Gesicht, so blaß wie eine Totenmaske, vor ihm. Die schlaffen Lippen wurden wie von Haken und Schnüren nach oben gezogen, bis eine an Leichenstarre gemahnende Grimasse weiße Zähne in der gräßlichen Simulation eines Lächelns erkennen ließ. Die Arme und Hände schnellten ruckartig in die Höhe, als wollten sie Saul umarmen oder einfangen.
    »Guten Tag, mein kleiner Freund«, sagte das Ding, das Francis Harrington gewesen war. »Wie geht’s, mein kleiner Bauer?«
     

16. Kapitel
     
    Charleston: Donnerstag, 25. Dezember 1980
     
    In der Eingangshalle des Krankenhauses stand ein neunzig Zentimeter großer Weihnachtsbaum in der Mitte des Wartebereichs. Fünf leere, aber bunt verpackte Geschenke lagen darum verstreut, und Kinder hatten Papierschmuck gebastelt, der an den Fenstern hing, von wo das Sonnenlicht weiße und gelbe Rechtecke auf den Fliesenboden malte.
    Sheriff Bobby Joe Gentry nickte der Schwester am Empfang zu, als er durch die Halle zu den Fahrstühlen ging. »Morgen und fröhliche Weihnacht, Miz Howells«, rief er. Gentry drückte auf den Fahrstuhlknopf und wartete mit seiner großen, weißen Papiertüte auf dem Arm.
    »Fröhliche Weihnachten, Sheriff!« rief die siebzigjährige Freiwillige. »Oh, Sheriff, dürfte ich Sie einen Moment aufhalten?«
    »Kein Problem, Ma’am.« Gentry schenkte der offenen Fahrstuhltür keine Beachtung und kam zu der Frau am Schreibtisch. Diese trug ein pastellgrünes Kleid, das sich nicht mit dem dunkleren Grün der Plastikpinienzweige auf der Resopalplatte vor ihr vertrug. Zwei Silhouette-Liebesromane lagen ausgelesen und achtlos neben ihrer Rollkartei. »Wie kann ich Ihnen helfen, Miz Howell?« fragte Gentry.
    Die alte Frau beugte sich nach vorn, nahm die Brille ab und ließ diese an ihrer Perlenkette baumeln. »Es geht um diese farbige Frau in Vier, die gestern nacht eingeliefert wurde«, begann sie mit einem aufgeregten Flüstern, dis nur sehr knapp nicht verschwörerisch klang.
    »Ja, Ma’am?«
    »Schwester Oleander sagt, daß Sie die ganze Nacht da oben gesessen haben - irgendwie wie eine Wache -, und daß Sie heute morgen einen Deputy vor der Tür postiert haben, als Sie gehen mußten .«
    »Das ist Lester«, sagte Gentry. Er verlagerte das Gewicht der Tüte an seinem Hemd. »Lester und ich sind die einzigen im Büro des Sheriffs, die nicht verheiratet sind. Wir übernehmen normalerweise den Dienst über die Feiertage.«
    »Nun, ja«, sagte Mrs. Howell, die ein wenig aus dem Konzept gebracht war, »aber wir haben uns gefragt, Schwester Oleander und ich, da es ja Heiligabend und Weihnacht und alles ist, nun ... was wird diesem farbigen Mädchen vorgeworfen? Ich meine, ich weiß, es könnte sich um eine offizielle Angelegenheit handeln und das alles, aber stimmt es, daß dieses Mädchen eine Verdächtige bei den Mansard-House-Morden ist und mit Gewalt eingeliefert werden mußte?«
    Gentry beugte sich lächelnd nach vorne. »Miz Howell, können Sie ein Geheimnis für sich behalten?«
    Die Empfangsschwester setzte die dicke Brille wieder auf, schürzte die Lippen, setzte sich sehr steif hin und nickte. »Gewiß, Sheriff«, sagte sie. »Was Sie mir sagen, wird nicht über

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