Kraft des Bösen
hierhergezogen ist. Und er ist auch nicht abgegangen. Er hat mit der Schule aufgehört, damit er sich freiwillig melden konnte, obwohl er schon vor dem College ein Marine und ein Antikriegskämpfer am College war.«
Meeks trank einen großen Schluck, betrachtete die Bierdose im spärlichen Licht und verzog das Gesicht. »Herrgott, Rob, trinkst du immer noch dieses Spülwasser? Pabst ist das gute Bier. Wie oft muß ich dir das noch sagen?«
»Sie waren also in Vietnam?« fragte Natalie. Sie dachte an Frederick und seine Weigerung, über das Jahr zu sprechen, das er dort verbracht hatte, seine Wut, wenn der Name des Landes auch nur erwähnt wurde.
Meeks lächelte und nickte. »Ja, Ma’am. Ich war zwei Jahre lang FAC dort - Forward Air Controller, Luftaufklärer. Ich flog einfach mit meiner kleinen Piper Cub herum und sagte den schnellen Jungs, den richtigen Piloten mit ihren Jets, wo sie ihre Ladung abwerfen sollten. Ich habe die ganze Zeit, während ich dort war, nicht einen einzigen Schuß selbst abgefeuert. War der angenehmste Job, den ich finden konnte.«
»Daryl wurde zweimal abgeschossen«, sagte Gentry. »Er ist der einzige vierzigjährige Hippie, den ich kenne, mit einer Schublade voller Orden.«
»Hab’ ich alle im PX gekauft«, sagte Meeks. Er trank den Rest Bier, rülpste und sagte: »Ich glaube, heute abend wäre nicht die beste Zeit für einen Rundflug, hm, Rob?«
»Nächstes Mal, Amigo«, sagte Gentry.
Meeks nickte, stand auf und verbeugte sich vor Natalie. »War mir ein Vergnügen, Ma’am. Wenn Sie jemals Ihr Getreide spritzen müssen oder einen Rundflug oder einen guten Drummer brauchen, besuchen Sie mich auf dem Mt.-Pleasant- Flugplatz.«
»Mach’ ich«, sagte Natalie lächelnd.
Meeks schlug Gentry auf die Schulter, hüpfte die Stufen hinunter und pfiff dabei die Titelmelodie von The High and the Mighty.
Sie hörten den ganzen Abend Musik, unterhielten sich über ihre Kindheit, spielten Schach, redeten darüber, wie es war, im Süden aufzuwachsen und im Norden zur Schule zu gehen, spülten das Geschirr und tranken spät noch einen Brandy. Natalie spürte, daß es fast keine Spannungen zwischen ihnen gab, daß ihr zumute war, als hätte sie Rob Gentry schon jahrelang gekannt.
Natalie war überrascht und entzückt über das wunderschöne Gästezimmer, das Gentry aufgeräumt und bereit hielt. Das kahle Holz und schlichte Gestellbett schmeichelten einem Raum, der so sauber wie der eines Shakers war, aber bunte Decken auf dem Bett und eine Tapete mit einem aufgemalten Ananasmotiv verhinderten, daß der Eindruck spartanischer Strenge aufkam.
Gentry zeigte Natalie frische Handtücher im Badezimmer, wünschte ihr eine gute Nacht, sah ein letztes Mal nach Türschlössern und Hoflichtern und ging in sein eigenes Schlafzimmer. Er zog ein Paar bequeme Jogginghosen und ein TShirt an. Im Laufe der letzten acht Jahre war Gentry viermal mit Nierensteinen ins Krankenhaus eingeliefert worden. Jeder Anfall hatte nachts stattgefunden. Es handelte sich um Calciumsteine - nicht abwendbar, obwohl er normalerweise auf calciumarme Kost achtete -, und die unglaublichen Schmerzen eines Anfalls setzten ihn normalerweise so sehr außer Gefecht, daß er gerade noch einen Krankenwagen anrufen konnte, der ihn in die Notaufnahme brachte. Es beunruhigte Gentry, daß ihn etwas so hilflos machen konnte und diese Hilflosigkeit sich durch kein noch so großes Maß an Einsicht oder Vorbereitungen abwenden ließ, aber er hatte Pyjamas schon vor langer Zeit durch Jogginghosen und T-Shirt ersetzt, damit er, wenn er ins Krankenhaus mußte, nicht im Pyjama dort eingeliefert werden würde.
Gentry hing das Halfter mit der 357er Ruger Blackhawk auf den Stuhl neben dem Bett. Dort war sie immer; er hätte sie in der finstersten Nacht mit einer einzigen Handbewegung finden können.
Gentry legte sich nicht sofort schlafen. Er wußte, daß eine attraktive junge Frau zwei Zimmer weiter im selben Flur wartete, aber er wußte auch, daß er den Ausflug zu ihrem Zimmer in dieser Nacht nicht unternehmen würde. Er spürte die angenehme Spannung zwischen ihnen beiden, konnte das Ausmaß der Faszination abschätzen, das sie auf ihn ausübte, und - durch einfache Subtraktion dieser Faszination von der üblichen sexuellen Spannung zwischen ihnen - zu einer groben Schätzung gelangen, wie sehr diese Faszination erwidert wurde. Gentry sah Spiegelungen von Autoscheinwerfern über die Decke wandern und runzelte leicht die Stirn. Nicht heute nacht.
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