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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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in ihrer Brieftasche nach; sie besaß noch zweihundert Dollar in bar und sechshundertfünfzig in Travellerschecks. Als sie sich vergewissert hatte, daß sie noch den Presseausweis von ihrem Ferienjob bei der Chicago Sun-Times hatte, rief sie Ben Yates an, den dortigen Fotoredakteur.
    »Nat!« ertönte dessen Stimme über das statische Rauschen und das Murmeln des Flughafenlärms hinweg. »Ich habe gedacht, du würdest bis Mai studieren.«
    »So ist es, Ben«, sagte Natalie, »aber ich muß ein paar Tage nach Philadelphia und habe mich gefragt, ob du Fotos von diesem Bandenmord brauchen könntest.«
    »Klar«, sagte Yates zögernd. »Welchem Bandenmord?«
    Natalie erzählte es ihm.
    »Verdammt«, sagte Yates, »die Sache wird keine Bilder bringen. Und wenn doch, kommen sie über Kabel rein.«
    »Aber wenn ich etwas Interessantes bekomme, dann willst du es, Ben?«
    »Aber klar«, sagte der Fotoredakteur. »Was ist los, Nat? Mit dir und Joe alles in Ordnung?«
    Natalie war, als hätte ihr jemand in den Magen geschlagen. Irgendwie hatte Ben noch nicht vom Tod ihres Vaters gehört. Sie wartete, bis sie wieder atmen konnte, dann sagte sie: »Ich erzähl’ dir später alles, Ben. Falls die Polizei oder jemand anruft, könntest du dann bestätigen, daß ich freiberuflich für die Sun-Times arbeite?«
    Das Schweigen dauerte nur wenige Sekunden, »Ja, klar, Nat. Das kann ich machen. Aber laß mich wissen, was los ist, ja?«
    »Mach’ ich, Ben. So schnell wie möglich. Ehrlich.«
    Bevor sie aufbrach, rief Natalie im Computerzentrum der Universität an und hinterließ Frederick eine Nachricht, daß sie bald anrufen würde. Dann rief sie Gentrys Nummer in Charleston an, lauschte seiner Stimme auf der Bandansage und sagte nach dem Piepston: »Rob, hier spricht Natalie.« Sie schilderte ihm ihre geänderten Pläne und die Gründe dafür. Sie zögerte.
    »Gib auf dich acht, Rob.«
    Der Direktflug nach Philadelphia war überfüllt. Der Mann neben ihr war schwarz, überaus gut gekleidet und auf eine stiernackige, markante Weise schön. Er las gebannt sein Wall Street Journal, während Natalie eine Weile zum Fenster hinaus sah und dann ein Nickerchen machte. Als sie fünfundvierzig Minuten später erwachte, fühlte sie sich benommen, vage desorientiert, und es tat ihr leid, daß sie sich auf diese mit ziemlicher Sicherheit aussichtslose Suche begeben hatte. Sie zog die Zeitung von Charleston aus der Handtasche und las den Artikel schätzungsweise zum zehnten Mal. Es schien Tage her zu sein, seit sie in Charleston gewesen war . mit Rob Gentry.
    »Wie ich sehe, lesen Sie über die Probleme in meiner Nachbarschaft.«
    Natalie drehte sich um. Der gutgekleidete Mann neben ihr hatte sein Wall Street Journal weggelegt. Er lächelte ihr über ein Glas Scotch hinweg zu. »Sie haben geschlafen, als die Stewardeß die Bestellung aufgenommen hat«, sagte er. »Soll ich sie rufen?«
    »Nein, danke«, sagte Natalie. Etwas an seinem Benehmen stieß sie auf unbestimmte Art ab, auch wenn alles an ihm - sein Grinsen, die sanfte Stimme, die entspannte Haltung - offene Freundlichkeit verströmte. »Was meinen Sie mit >Probleme in Ihrer Nachbarschaft?«: fragte sie.
    Er hielt sein Scotchglas über die Zeitung. »Diese Bandengeschichten«, sagte er. »Ich wohne in Germantown. Da läuft andauernd so ein Mist.«
    »Können Sie mir etwas darüber sagen?« fragte Natalie. »Über die Banden . über die Morde?«
    »Die Banden, ja«, sagte er mit einer Stimme, die Natalie an das tiefe Brummein des Schauspielers James Earl Jones erinnerte, »die Morde, nein. Ich war ein paar Tage nicht in der Stadt.« Er grinste sie noch breiter an. »Außerdem, Miß, komme ich aus einer etwas besseren Gegend der Stadt als diese armen Burschen. Werden Sie Germantown besuchen, wenn Sie in
    Philadelphia sind?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Natalie. »Warum?«
    Das Lächeln des großen Mannes wurde noch breiter, aber seine braunen Augen waren schwer zu deuten. »Ich hatte es nur gehofft«, sagte er beiläufig. »Germantown ist ein historisches, interessantes Viertel. Es hat Schönheit und Wohlstand, aber auch Slums und Banden. Wenn Sie Philadelphia nur besuchen, möchte ich gerne, daß Sie beide Seiten kennenlernen. Vielleicht wohnen Sie ja auch dort. Ich sollte keine voreiligen Schlüsse ziehen.«
    Natalie zwang sich, sich zu entspannen. Sie konnte nicht die ganze Zeit in einem Zustand paranoider Angst verbringen. »Nein, ich bin nur zu Besuch«, sagte sie. »Und ich möchte gern

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