Kraft des Bösen
hineingerufen. In dunklen Zimmern flackerte das Licht von Fernsehern.
»Glauben Sie, Saul geht es gut?« fragte Natalie. Sie sprachen zum ersten Mal seit heute morgen von ernsten Dingen.
Gentry steckte die Hände tief in die Jackentasche. »Ich bin nicht sicher«, sagte er. »Aber ich habe das Gefühl, daß etwas passiert ist.«
»Es kommt mir nicht richtig vor, daß ich mich in St. Louis verstecke«, sagte Natalie. »Was immer vor sich geht, ich finde, ich bin es meinem Vater schuldig, dabeizusein.«
Gentry widersprach nicht. »Ich will Ihnen was sagen«, meinte er. »Lassen Sie mich herausfinden, wo der Professor steckt, dann nehmen wir wieder Verbindung auf und planen unsere nächsten Schritte. Ich glaube, es ist einfacher, wenn einer diesen Teil übernimmt.«
»Aber Melanie Fuller könnte noch hier in Charleston sein«, sagte Natalie. »Wir wissen noch nicht einmal, was der Typ gestern abend gemeint hat.«
»Ich glaube nicht, daß die alte Dame hier ist«, sagte Gentry. Er erzählte ihr von Arthur Lewellyns kurzer Fahrt zum Zigarettenhändler in der Nacht der Morde - eine Fahrt, die mit einem Frontalzusammenstoß bei siebenundneunzig Stundenmeilen mit einem Brückenpfeiler in den Randbezirken von Atlanta zu Ende gegangen war. »Mr. Lewellyns Zigarettenhändler befindet sich nicht weit vom Mansard House entfernt«, sagte Gentry.
»Wenn Melanie Fuller also wirklich zu dem imstande wäre, was Saul gesagt hat .«
»Ja«, sagte Gentry. »Es ist vollkommen wahnsinnig, aber eine logische Erklärung.«
»Sie glauben also, daß sie sich in Atlanta versteckt?«
»Das will ich nicht sagen«, entgegnete Gentry. »Zu nahe. Ich vermute, daß sie schnellstmöglich von dort weitergefahren oder -geflogen ist. Darum habe ich die ganze Woche telefoniert. Vor einer Woche, am Montag, wurde ein ungewöhnlicher Vorfall vom Hartsfield International Airport gemeldet - zwei Tage nach den Morden hier. Eine Frau ließ zwölftausend Dollar in bar in einer Reisetasche stehen - niemand konnte sie beschreiben. Ein Bediensteter dort - ein vollkommen gesunder vierzigjähriger Mann - starb nach einem Grand mal-Anfall. Ich habe sämtliche Todesfälle in derselben Nacht überprüfen lassen. Eine sechsköpfige Familie starb bei einem Verkehrsunfall auf der I-85, als ein Lastwagen in ihren Kombi raste; der Lastwagenfahrer war am Steuer eingeschlafen. Ein Mann in Rockdale Park hat seinen Schwager bei einem Streit wegen eines Boots erschossen, das sich seit Jahren im Familienbesitz befindet. In der Nähe des Atlanta Stadions haben sie den Leichnam eines Penners gefunden - das Büro des Sheriffs sagte, daß er mindestens seit einer Woche dort gelegen haben muß. Und ein Taxifahrer namens Steven Lenton beging in seinem Haus Selbstmord. Laut Polizei haben seine Freunde ausgesagt, daß er, seit seine Frau ihn verlassen hat, unter Depressionen litt.«
»Wie könnte davon etwas mit Melanie Fuller zu tun haben?« fragte Natalie.
»Das ist das Komische daran«, sagte Gentry. »Spekulationen.« Sie kamen zu einem kleinen Park. Natalie setzte sich auf eine Schaukel und schwang sachte hin und her. Gentry hielt sich an der Kette der nächsten Schaukel fest. »Das Merkwürdige an Mr. Lentons Selbstmord ist, daß er ihn während der Arbeitszeit verübte. Die meisten Menschen lassen ihre Arbeit nicht im Stich, um sich umzubringen. Sie werden nie draufkommen, wo er war, als er seinen letzten Passagier mitnahm .«
Natalie hörte auf zu schaukeln. »Ich weiß nicht ... Oh! Am Flughafen?«
»Woll.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das ergibt keinen Sinn. Wenn Melanie Fuller vom Flughafen in Atlanta fliegen wollte, warum sollte sie dann ihr Geld zurücklassen oder sich die Mühe machen und einen Bediensteten oder Taxifahrer umbringen?«
»Gehen wir einfach davon aus, daß etwas sie erschreckt hat«, sagte Gentry. »Vielleicht hat sie es sich in großer Hast anders überlegt. Das Privatauto des Taxifahrers fehlt - seine Exfrau ist der Polizei fast eine Woche damit auf die Nerven gegangen, bis sie es gefunden haben.«
»Wo?« fragte Natalie.
»Washington, D. C.«, sagte Gentry. »Mitten in der Innenstadt.«
»Das ergibt alles überhaupt keinen Sinn«, sagte Natalie. »Ist es nicht wahrscheinlicher, daß der Mann einfach Selbstmord begangen und jemand seinen Wagen gestohlen und in Washington stehen gelassen hat?«
»Klar«, sagte Gentry. »Aber das Schöne an Saul Laskis Geschichte ist, daß es eine lange Reihe Zufälle mit einer einzigen Erklärung
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