Kraft des Bösen
Teil des Ausgangs kurz vor der Gasse hinter den Gärten und Rückfassaden der Häuser des gegenüberliegenden Blocks frei. Er verschloß den Ausgang mit Brettern und kehrte nach Grumblethorpe zurück. Vincent bot einen fürchterlichen Anblick; schmutzig, die alten Kleidungsstücke, die er zur Arbeit getragen hatte, zerrissen und lehmig, das lange Haar zerzaust und zu verfilzten Strähnen verklebt, die ihm in ein dreckstarrendes Gesicht und glotzende Augen hingen. Ich hatte an diesem Tag nur eine große Thermosflasche mit Wasser in Grumblethorpe dabei; ich wies Vincent an, sich auszuziehen und neben die Heizung in der Küche zu setzen, während ich zu Fuß zu Annes Haus ging und seine Kleidungsstücke wusch und trocknete.
Anne hatte den ganzen Nachmittag an einem speziellen Weihnachtsessen gearbeitet. Die Straßen waren dunkel und fast verlassen. Eine einzige Straßenbahn rumpelte vorbei, deren Innenbeleuchtung gelb und anheimelnd schien. Es fing an zu schneien.
So kam es, daß ich allein und schutzlos ging. Normalerweise wäre ich in einer Großstadt nicht einen einzigen Block ohne einen bestens konditionierten Gefährten gegangen, aber das Tagwerk in Grumblethorpe und ein seltsam warnender Unterton des Flüsterns im Kinderzimmer beschäftigten mich und machten mich unvorsichtig. Außerdem mußte ich an Weihnachten denken.
Weihnachten war immer wichtig für mich gewesen. Ich erinnerte mich an den großen Baum und die noch größeren Festessen, die wir veranstaltet hatten, als ich noch ein Kind war. Mein Vater zerlegte den Truthahn; meine Aufgabe war gewesen, der Dienerschaft kleine Geschenke zu überreichen. Ich kann mich noch erinnern, daß ich schon Wochen im voraus den exakten Wortlaut der kurzen, würdigen Sätze einstudierte, die ich zu dem Stab überwiegend farbiger älterer Männer und Frauen sagen wollte. Ich würde die meisten loben, aber einige durch wohlüberlegtes Weglassen von Schlüsselwörtern milde wegen mangelndem Fleiß zurechtweisen. Die schönsten Geschenke und herzlichsten Worte blieben unweigerlich Auntie Harriet vorbehalten, einer alternden Frau mit gewaltigem Busen, die mich versorgt und großgezogen hatte. Harriet war noch als Sklavin geboren worden.
Es war interessant, wie Nina, Willi und ich noch Jahre später in Wien solche gemeinsamen Elemente unserer Kindheit wie Güte gegenüber der Dienerschaft zurückverfolgen konnten. Selbst in Wien war Weihnachten eine wichtige Zeit für uns gewesen. Ich kann mich noch an den Winter 1928 erinnern, an Schlittenfahrten entlang der Donau und ein riesiges Bankett in Willis gemieteter Villa südlich der Stadt. Erst in letzter Zeit habe ich Weihnachten nicht mehr so gefeiert, wie ich es gern getan hätte. Nina und ich hatten uns erst vor zwei Wochen bei unserem >Wiedersehen< über die traurige Entweihung des weihnachtlichen Geistes unterhalten. Die Menschen wissen nicht mehr, was das Wort christlich bedeutet.
Es waren acht Jungs, alle farbig. Ich weiß nicht wie alt sie waren. Sie waren alle größer als ich; drei oder vier hatten schwarzen Flaum über den wulstigen Oberlippen. Sie schienen nur aus Lärm und Ellbogen und Knien und wüsten Obszönitäten zu bestehen, als sie um die Ecke Bringhurst Street auf die Germantown Avenue und mir direkt in den Weg kamen. Einer von ihnen trug ein riesiges Radio, aus dem brachialer Lärm tönte.
Ich sah erschrocken auf und war immer noch in Gedanken an Weihnachten und Freunde aus alten Zeiten versunken. Ohne nachzudenken, blieb ich stehen und wartete darauf, daß sie vom Bordstein und mir aus dem Weg gehen würden. Möglicherweise lag es an meinem Gesicht oder meiner stolzen Haltung, die nichts mit der geduckten Unterwürfigkeit gemein hatte, welche Weiße normalerweise in Negervierteln der Städte im Norden einnehmen, daß sie auf mich aufmerksam wurden.
»Was glotzense’n so, Lady?« fragte ein großer Bursche mit einer roten Mütze. Sein Gesicht drückte das ganze Ausmaß von zahnlückenhafter Dummheit und Verachtung aus, die jahrhundertelange Stammesignoranz seiner Rasse angezüchtet haben.
»Ich warte darauf, daß ihr Jungs beiseite geht und eine Lady durchlaßt«, sagte ich. Ich sprach leise, höflich. Normalerweise hätte ich gar nichts gesagt, aber ich war mit den Gedanken woanders gewesen.
»Jungs!« sagte der Große mit der roten Mütze. »Scheiße, wen nennen Sie Jungs?« Die anderen scharten sich im Halbkreis um mich. Ich sah auf einen Punkt über ihren Köpfen.
»Verdammt, wofür halten Sie
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