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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Durchfahrt der Germantown Avenue. Die wenigen schönen alten Häuser dort befinden sich in der schlechten Gesellschaft von Bars und Ramschläden, Imbißbuden und Five-and-Dime-Läden. Die schmalen Straßen, die von diesem
    Abschnitt der Hauptstraße abzweigen, führen bald in richtige Elendsviertel, Reihenhäuser und Brachgrundstücke. Aber da, Germantown Avenue 5267, hinter einer Demarkationslinie von Parkuhren und zwei rußgeschwärzten Eichen mit von Messern verunzierten Stämmen, keine zehn Schritte vom Verkehr und den Straßenbahnen und der endlosen Parade farbiger Passanten entfernt, erhebt sich die sandsteingemauerte Pracht von Grumblethorpe mit seinen Rolläden und dem Schindeldach.
    Es gab zwei Eingangstüren. Anne holte einen prallvollen Schlüsselring hervor und schloß den Osteingang für uns auf. Das Innere war dunkel, die Fenster verbargen sich hinter schweren Vorhängen und dicht geschlossenen Rolläden. In dem Haus roch es nach Alter, jahrhundertealtem Holz und Möbelpolitur. Ich fühlte mich sofort wie zu Hause.
    »Das Heim wurde 1744 von John Wister erbaut«, sagte Anne, deren Stimme kräftiger wurde und wie die einer Fremdenführerin klang. »Er war ein Kaufmann aus Philadelphia, der es als Sommerhaus nutzte. Später wurde es zum Hauptwohnsitz der Familie.«
    Wir gingen von der kleinen Diele in den Salon. Die breiten Bodendielen waren auf Hochglanz poliert, der elegante, schlichte Stuck der Decke war im >Hochzeitsband-Stil< gehalten, ein großer Ohrensessel stand neben dem kleinen offenen Kamin. Auf einem kleinen Tisch neben dem Sessel stand eine einzige Kerze. Es waren weder elektrische Lampen noch Steckdosen zu sehen.
    »Während der Schlacht von Germantown«, sagte Anne, »starb der britische General James Agnew in diesem Zimmer. Die Blutflecken sind noch zu sehen.« Sie deutete auf den Boden.
    Ich betrachtete die schwache Entfärbung des Holzes. »Es stehen keine Schilder draußen«, sagte ich.
    »Früher steckte eine kleine Karte am Fenster«, sagte Anne. »Das Haus war dienstags und donnerstags von vierzehn bis siebzehn Uhr für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Gesellschaft hat private Führungen für alle durchgeführt, die sich für die Geschichte dieser Gegend interessierten. Jetzt ist es geschlossen - und wird es mindestens noch einen Monat bleiben -, bis Mittel zur Verfügung stehen, um Renovierungsarbeiten zu beenden, die in der Küche angefangen wurden.«
    »Wer wohnt jetzt hier?« fragte ich.
    Anne lachte - ein kurzes, mäuseartiges Piepsen. »Niemand wohnt hier«, sagte sie. »Es gibt keinen Strom, keine Heizung, abgesehen von den Kaminen, und keinerlei Wasserleitungen. Ich sehe regelmäßig nach dem Haus, und alle sechs bis acht Wochen unternimmt Mrs. Waverly von der Gesellschaft eine Besichtigungstour.«
    Ich nickte. »Es gibt eine Brautschau-Tür hier«, sagte ich.
    »Ah, ja«, sagte Anne. »Sie kennen den Brauch. Die wurde auch für Beerdigungen benützt.«
    »Zeigen Sie mir den Rest des Hauses«, befahl ich.
    Im Eßzimmer standen ein rustikaler Tisch und Stühle, die noch bis zur schlichten Schönheit des frühen Kolonialstils zurückreichten. Ich sah ein unvorstellbares Gesellenstück von einer Bank, die alles Geschick eines Schrankmachers in sich vereinigte. Anne deutete auf einen Stuhl, den Solomon Fussel gemacht hatte, dem wir auch die Stühle der Independence Hall verdanken.
    Von der Küche aus konnte man den Hinterhof sehen, und trotz der braunen, gefrorenen Erde und Resten von Schnee konnte ich die Anlage des wunderschönen alten Gartens ausmachen, der hier im Sommer erblühen mußte. Der Küchenboden war aus Stein, der Kamin so groß, daß man, ohne sich zu bücken, hineingehen konnte. An einer Wand hing ein merkwürdiges Sammelsurium alter Werkzeuge und Utensilien - alte Scheren, eine fast zwei Meter lange Sense, eine Hacke, ein uralter Rechen, Eisenzangen und anderes -, daneben stand ein alter, pedalbetriebener Schleifstein. Anne deutete auf einen großen Abschnitt der Ecke, wo man die Wand aufgerissen, die Steine aufgeschichtet und eine häßliche schwarze Plastikfolie vor die Baustelle gehängt hatte. »Dort waren die Steine locker«, sagte Anne. »Bei Wartungsarbeiten im November haben die Arbeiter eine verrottete Holztür unter dem Boden entdeckt und einen teilweise eingestürzten Tunnel.«
    »Ein Fluchtweg?«
    »Wahrscheinlich«, sagte Anne. »Als das Haus gebaut wurde, waren die Indianer noch aktiv.«
    »Wohin führt er?«
    »Sie haben den gemauerten Ausgang

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