Kraft des Bösen
sich eigentlich?« fragte ein Dicker mit schmutzigem Parka.
Ich sagte nichts.
»Kommt schon«, sagte ein kleinerer Junge, der nicht ganz so brutal aussah. Er hatte blaue Augen. »Gehn wir, Mann.«
Sie wollten weitergehen, aber der Neger mit der roten Mütze mußte noch eines loswerden. »Paß auf, wem du sagst, daß er dir aus dem Weg gehen soll, alte Schlampe«, sagte er und tat so, als wollte er mich an Brust oder Schultern schubsen.
Ich wich rasch zurück, damit ich seiner Berührung ausweichen konnte. Dabei blieb ich mit dem Absatz in einer Ritze des Gehwegs stecken, verlor das Gleichgewicht, ruderte mit den Armen und fiel rücklings auf eine Stelle voll Schnee und Hundekot zwischen Gehweg und Straße. Die meisten Neger brüllten vor Lachen.
Der kleinere Junge mit den blauen Augen brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen und kam näher. »Alles okay, Lady?« Er streckte die Arme aus und wollte mir aufhelfen.
Ich sah ihn an und beachtete die Hand gar nicht. Nach einem Augenblick zuckte er die Achseln und ging den anderen voran die Straße hinab. Ihre abscheuliche Musik hallte von Ladenfassaden und stummen Geschäften wider.
Ich blieb sitzen, bis die acht nicht mehr zu sehen waren, dann versuchte ich aufzustehen, gab es auf, kroch auf Händen und Knien zu einer Parkuhr und zog mich daran auf die Füße.
Dann stand ich eine ganze Weile auf die Parkuhr gestützt und zitterte. Ab und zu fuhr ein Auto vorbei - möglicherweise jemand, der es eilig hatte, an Heiligabend daheim zu sein - und schleuderte mit den Reifen Schneematsch auf mich. Einmal hasteten zwei dicke junge Negerfrauen vorbei, die mit Plantagenstimmen miteinander schwatzten. Niemand blieb stehen, um mir zu helfen.
Ich zitterte immer noch, als ich zu Annes Haus kam. Später wurde mir klar, ich hätte sie problemlos herauskommen und mir helfen al ssen können, aber zu dem Zeitpunkt konnte ich nicht klar denken. Im kalten Wind waren mir Tränen in die Augen getreten, heruntergekullert und auf den Wangen gefroren.
Anne ließ sofort ein heißes Bad für mich ein, half mir aus dem nassen Kleid und legte trockene Kleidung zurecht, während ich badete.
Es war neun Uhr, bis ich zu Abend aß - allein, während Anne im Nebenzimmer saß -, und als ich mit dem Nachtisch, Kirschkuchen, fertig war, wußte ich genau, was zu tun war.
Ich holte mein Nachthemd und alles Notwendige. Ich ließ Anne einen Schlafsack für sie selbst, Kleidung für Vincent zum Wechseln, zu essen und zu trinken und die Pistole bringen, die ich mir von dem Taxifahrer in Atlanta geliehen hatte.
Der Spaziergang nach Grumblethorpe zurück war kurz und ereignislos. Inzwischen schneite es heftig. Ich sah die Stelle nicht an, wo ich gestürzt war.
Vincent saß noch da, wo ich ihn zurückgelassen hatte. Er zog sich an und aß heißhungrig. Normalerweise hätte mich nicht gekümmert, wenn Vincent ein paar Mahlzeiten versäumte, aber er hatte in den vergangenen zwei Tagen beim Graben Tausende Kalorien verbrannt, und ich wollte, daß er seine Energie auffrischte. Er aß wie ein Tier. Vincents Hände, Arme und Gesicht waren immer noch schmutzig und von rotem Lehm verklebt, und die sichtbaren und hörbaren Spuren seines Essens waren wahrlich animalisch.
Nach dem Essen setzte sich Vincent an den Wetzstein und schärfte die Sense und einen Spaten, den Anne vor zwei Tagen in einer Eisenwarenhandlung auf der Chelten Avenue gekauft hatte.
Es war fast Mitternacht, als ich im Kinderzimmer zu Bett ging. Ich machte die Tür zu und zog mein Nachthemd an. Die staubigen, glänzenden Glasaugen der Puppe beobachteten mich im flackernden Kerzenlicht. Anne saß unten im Salon und behielt die Eingangs tür im Auge, derweil sie zufrieden lächelte und die geladene 38er Pistole fest auf dem Schoß und der Schürze liegen hatte.
Vincent schlich sich durch den Tunnel davon. Lehm und Nässe besudelten sein Gesicht noch mehr, als er Sense und Spaten durch den schwarzen Durchgang zog. Ich machte die Augen zu und sah deutlich im Licht einer trüben Straßenlaterne, wie der Schnee fiel, als er in der Nähe der Garage ins Freie kam, die langen Werkzeuge hinter sich her zog und die Gasse entlang verschwand.
Die Luft roch sauber und kalt. Ich konnte Vincents kräftigen und sicheren Herzschlag spüren und merkte, wie der Dschungel in seinem Verstand wie in starkem Wind wogte und peitschte, als Adrenalin durch seinen Kreislauf gepumpt wurde. Ich konnte spüren, wie die Muskeln um meinen Mund sich als sympathetische
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