Kraft des Bösen
kalten Erdboden steckenblieb, und kam den Hang herauf.
Gentry senkte den Arm, um die Neigung auszugleichen, zu hoch zu schießen, wenn man bergab feuerte. Das Licht, das vom verschneiten Hang reflektiert wurde, zeigte den Fahrer deutlich. Es war eine Frau in Khaki, mit weit aufgerissenen Augen.
Sie ... er ... werden sie sowieso nicht am Leben lassen, dachte Gentry und feuerte die beiden letzten Schuß. Zwei Sterne wurden unmittelbar vor der Fahrerin sichtbar, die ganze Windschutzscheibe wurde weiß und zerbröselte zu Pulver, und Gentry drehte sich um und lief, so schnell er konnte. Er war noch zehn Schritte von Natalie entfernt, als der Bus ihn erfaßte, der Kühler brutal gegen ihn rammte und er in die Höhe gewirbelt wurde wie ein Baby, das man achtlos in die Luft wirft. Er landete hart auf der Seite, spürte Natalie neben sich, beugte sich über eine kalte Schiene und beobachtete.
Der Bus schaffte es bis eineinhalb Meter unter den Rand des Bahndamms, verlor den Halt und rutschte wieder hinunter, während der Scheinwerfer wie ein hektischer Suchstrahl hin und her taumelte. Der rechte hintere Kotflügel schrammte mit einem kräftigen Geräusch auf den Gehweg, der lange Bus versuchte, auf dem Heck zu stehen, die Schnauze prallte dreißig Grad von der Böschung abwärts, dann rollte der Bus langsam nach rechts, kippte beinahe auf das Dach und blieb mit kreisenden Reifen auf der Seite liegen.
»Beweg dich nicht«, flüsterte Natalie, aber Gentry kämpfte sich dennoch auf die Füße. Er sah nach unten und hätte fast laut losgelacht, als er sah, daß er die Ruger immer noch mit der kalten Hand umklammert hielt. Er wollte sie in die Tasche stecken, mußte feststellen, daß er weder Mantel noch Jacke anhatte, und steckte sie in den Hosenbund.
Natalie hielt ihn aufrecht. »Was machen wir jetzt?« sagte sie sehr leise.
Gentry versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. »Wir warten auf die Bullen, die Feuerwehr. Ambulanzwagen«, sagte er. Er wußte, etwas stimmte mit diesem Vorschlag nicht, war aber zu müde, eingehender darüber nachzudenken.
Inzwischen waren mehr Reihenhausfenster erleuchtet, aber niemand kam heraus. Gentry stand mehrere lange, kalte Minuten auf Natalie gestützt. Es fing an zu schneien. Keine Spur von Ambulanzwagen.
Unter ihnen ertönte das hohle Pochen von Schlägen, dann brach ein Fenster auf der Seite des umgestürzten Busses heraus und fiel auf den Boden. Mindestens drei dunkle Gestalten kamen heraus und wuselten wie Spinnen über den Metallkadaver des Busses.
Ohne ein Wort zu sagen, wirbelten Gentry und Natalie herum und hüpften hastig über die Gleise. Einmal fiel er auf eine Schiene und spürte ein kräftiges, beharrliches Vibrieren. Natalie zog ihn hoch und trieb ihn zur Eile an. Er konnte ferne Schritte auf der Schlacke hinter ihnen hören.
»Da!« keuchte Natalie plötzlich. »Da. Ich weiß, wo wir sind.«
Gentry schlug die Augen auf und sah ein altes, zweistöckiges Haus inmitten von Brachgrundstücken. Ein Dutzend Fenster waren hell erleuchtet.
Er stolperte und fiel die steile Böschung hinab. Etwas Scharfes riß an seinem rechten Bein. Er stolperte auf die Füße und half Natalie auf, als ein Vorortzug über ihnen dahindonnerte.
Auf der Veranda hielten sich Leute auf. Stimmen, die sich nach Schwarzen anhörten, riefen Herausforderungen. Gentry sah zwei junge Männer mit Schrotflinten. Er tastete nach der Ruger, konnte die Finger aber nicht um den Griff schließen.
Natalies Stimme kam aus weiter Ferne, drängend, beharrlich. Gentry beschloß, die Augen eine oder zwei Sekunden zuzumachen, bis er wieder zu Kräften gekommen war.
Kräftige Hände fingen ihn auf, als er zusammenbrach.
26. Kapitel
Germantown: Montag, 29. Dezember 1980
Natalie kümmerte sich den ganzen Montag um Rob. Er hatte Fieber, wußte nicht, wo er sich befand, und redete ab und zu im Schlaf. In der Nacht hatte sie neben ihm gelegen, aber sorgsam darauf geachtet, daß sie nicht an die verbundenen Rippen oder die bandagierte linke Hand stieß. Einmal hatte er im Schlaf die rechte Hand ausgestreckt und ihr zärtlich über das Haar gestrichen.
Marvin Gayle hatte nicht allzu erfreut ausgesehen, als sie Sonntag nacht mit Gentry auf die Veranda des Community gestolpert war.
»Wer ist dein fetter Freund, Babe?« hatte Marvin von der obersten Stufe gerufen. Er wurde von Leroy und Calvin flankiert, die abgesägte Schrotflinten hielten.
»Das ist Sheriff Rob Gentry«, sagte Natalie und bedauerte sofort,
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