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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Metall gab fast so etwas wie einen menschlichen Schmerzensschrei von sich. Der Rotor schien sein gesamtes Drehmoment von den Rotoren auf den Rumpf zu übertragen, die schmale Kabine wurde peitschend einmal, dreimal, fünfmal im Gegenuhrzeigersinn herumgewirbelt, dann prallte sie gegen den Steinbogen der Eisenbahnbrücke.
    Es gab kein Feuer. Keine Explosion. Die zertrümmerte Masse aus Stahl, Plexiglas und Aluminium fiel stumm achtzehn Meter in die Tiefe und verschwand platschend keine drei Meter von der Stelle entfernt im Wasser, wo der DeSoto nicht einmal drei Sekunden vorher verschwunden war.
    Die Strömung war sehr stark. Mehrere bizarre Sekunden lang blieb der Suchscheinwerfer des Helikopters noch eingeschaltet und zeigte, wie die zerstörte Maschine tiefer ins Wasser sank und schneller stromabwärts gerissen wurde, als man sich in so kurzer Zeit vorstellen konnte. Dann erlosch der Scheinwerfer, und das trübe Wasser legte sich über alles wie ein schlammiges Leichentuch.
    Es dauerte eine Minute, bis ich mich aufsetzte, und eine halbe Stunde, bis ich aufzustehen versuchte.
    Kein Laut war zu hören, abgesehen vom leisen Plätschern des Flusses und dem fernen, unveränderlichen Brummen von der unsichtbaren Schnellstraße.
    Nach einer Weile strich ich Zweige und Staub von meinem Nachthemd, zog den Gürtel des Morgenmantels enger zu und machte mich langsam auf, den Trampelpfad hinauf.

35. Kapitel
     
    Philadelphia: Donnerstag, 1. Januar 1981
     
    Die Kinder hatten Erlaubnis bekommen, vor dem Frühstück eine Stunde draußen zu spielen. Der Morgen war kalt, aber sehr klar, die Sonne eine scharf umrissene Scheibe, die sich bemühte, die zahllosen kahlen Zweige des Waldes hinter sich zu lassen. Die drei Kinder lachten, spielten und rutschten auf dem langgezogenen Hang, der zum Wald und dem Fluß dahinter führte. Tara, die älteste, war vor drei Wochen erst acht geworden. Allison war sechs. Justin, der Rotschopf, würde im April fünf werden.
    Ihr Lachen und ihre Rufe hallten vom bewaldeten Hügel wider. Alle drei sahen auf, als eine ältere Dame zwischen den Bäumen heraus und langsam auf sie zugeschritten kam.
    »Warum bist du noch im Morgenmantel?« fragte Allison.
    Die Frau blieb fünf Schritte von ihnen entfernt stehen und lächelte. Ihre Stimme klang seltsam. »Oh, es war so ein sonniger Morgen, da habe ich mir gedacht, ich mache erst einen Spaziergang, bevor ich mich anziehe.«
    Die Kinder nickten verständnisvoll. Sie wollten öfter im Pyjama draußen spielen gehen.
    »Warum hast du denn gar keine Zähne?« fragte Justin.
    »Pst«, sagte Tara hastig. Justin senkte den Kopf und scharrte mit den Füßen.
    »Wo wohnt ihr denn?« fragte die Dame.
    »Wir wohnen im Schloß«, sagte Allison. Sie deutete den Hügel hinauf zu einem großen Gebäude aus grauem Stein. Dieses stand allein inmitten eines Hunderte Ar großen Parkgeländes. Ein schmaler asphaltierter Streifen verlief auf der Kuppe entlang in den Wald.
    »Mein Daddy ist stellvertretender Grund- und Bodendezernent«, leierte Tara herunter.
    »Tatsächlich?« sagte die alte Dame. »Sind eure Eltern gerade zu Hause?«
    »Daddy schläft noch«, sagte Allison. »Er und Mommy sind gestern lange aufgeblieben, wegen der Silvesterparty. Mommy ist wach, hat aber Kopfschmerzen und ruht sich vor dem Frühstück noch aus.«
    »Wir essen Käsetoast«, sagte Justin.
    »Und sehen uns die Rosenparade an«, fügte Tara hinzu.
    Die Dame lächelte und sah zu dem Haus hinauf. Ihr Zahnfleisch war hellrosa.
    »Möchtest du sehen, wie ich einen Purzelbaum schlage?« fragte Justin und zupfte an ihrer Hand.
    »Einen Purzelbaum?« sagte die Dame. »Aber gewiß doch.«
    Justin machte den Reißverschluß der Jacke auf, sank auf die Knie, rollte sich linkisch nach vorn, landete auf dem Rücken und trat lautstark mit den Turnschuhen auf. »Gesehen?«
    »Bravo!« rief die Dame und applaudierte. Sie sah wieder zum Haus.
    »Ich bin Tara«, sagte Tara. »Das ist Allison. Justin ist noch ein Baby.«
    »Stimmt nicht!« sagte Justin.
    »Doch, das bist du«, sagte Tara hochnäsig. »Du bist der Jüngste, und darum bist du das Baby in der Familie. Sagt Mom.«
    Justin runzelte verdrossen die Stirn, ging zu der alten Dame und nahm ihre Hand. »Du bist eine nette Dame«, sagte er.
    Sie strich ihm mit der freien Hand träge über den Kopf. »Habt ihr ein Auto?« fragte die Dame.
    »Na klar«, sagte Allison. »Wir haben den Bronco und das blaue Ei.«
    »Das blaue Ei?«
    »Sie meint den blauen Volvo«,

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