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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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kommen.
    Ich war des Krankenhauses überdrüssig, obwohl ich ein Privatzimmer hatte, der ganze Flügel für mich abgesperrt war und mir das gesamte Personal zur Verfügung stand. Letztendlich gibt es nichts Besseres als das Zuhause, um die Stimmung zu heben und den Genesungsprozeß zu fördern.
    Vor Jahren hatte ich einmal über das Phänomen sogenannter Astralreisen gelesen, wie sie angeblich von sterbenden Patienten erlebt werden, von unglücklichen Individuen, die klinisch tot auf dem Operationstisch liegen, bevor sie wiederbelebt werden, und so weiter, und ich hatte rein gar nichts auf solche Geschichten gegeben - Musterbeispiele eines absurden Sensationsjournalismus, wie er heute so weit verbreitet ist. Aber genau diese Situation erlebte ich, als ich im Hospital das Bewußtsein wiedererlangte. Eine Zeitlang schien ich unter der Decke meines Zimmers zu schweben und sah nichts, nahm aber alles wahr. Ich bemerkte den eingefallenen, zusammengerollten Leib auf dem Bett, ebenso die Sensoren, Leitungen, Nadeln und Katheter, an die er angeschlossen war. Ich bemerkte das Kommen und Gehen der Schwestern, Ärzte, Arzthelfer und anderer, die sich bemühten, diesen Leib am Leben zu halten. Als ich schließlich wieder in die Welt des Sehens und Hörens zurückkehrte, stellte ich fest, daß es nur durch die Augen und Ohren dieser Menschen geschah. Und so viele auf einmal. Es war mir auch Nina und Willi nicht, soweit ich wußte - nie gelungen, jemanden so vollkommen zu >benützen<, daß ich klare Sinneswahrnehmungen von mehr als einer Person gleichzeitig empfangen konnte. Mit Erfahrung ist es möglich, einen Fremden zu >benützen< und gleichzeitig einen konditionierten Handlanger zu kontrollieren, oder, mit mehr Anstrengung und Erfahrung, zwei Fremde zu >benützen<, indem man die Kontrolle hastig hin und her wechselt, aber Zugang zu derart klarem Sehen, Hören, Fühlen, und eine so mühelose Kontrolle, wie ich sie jetzt erlebte, war einfach unerhört. Mehr noch, wenn wir andere >benützten<, merkten das diejenigen, die solchermaßen >benützt< wurden, stets unweigerlich, was entweder zur Vernichtung des Instruments oder zu einer völligen Blockierung aller Erinnerungen danach führte - ein einfacher Vorgang, der aber eine unerklärliche Lücke im Gedächtnis des Opfers hinterließ. Jetzt sah ich durch ein Dutzend Augen, und die Betreffenden wußten überhaupt nichts von meiner Anwesenheit.
    Aber konnte ich sie >benützen    Tage vergingen. Während mein Körper anscheinend im Koma lag, von Maschinen und beständiger Umsorgung am Leben erhalten wurde und scheinbar auf den kleinsten vorstellbaren Raum beschränkt blieb, streifte ich in Wirklichkeit frei umher und sah mich mit einer Leichtigkeit um, wie ich sie vorher noch nie erlebt, von der ich nicht einmal zu träumen gewagt hatte. Ich verließ das Zimmer im Kopf einer jungen Krankenschwester, spürte die animalische Kraft und Vitalität in ihr, schmeckte das Spearmint-Kaugummi, das sie kaute, und am Ende des Flurs streckte ich einen anderen Fühler meiner Wahrnehmung aus - ohne den Kontakt mit meiner jungen Krankenschwester zu verlieren! - und drang in das Denken des Chefchirurgen ein, fuhr mit ihm im Fahrstuhl hinab, ließ seinen Lincoln Continental an und fuhr sechs Meilen in den Vorort und zu seiner wartenden Frau ... während ich die ganze Zeit in engem Kontakt mit meiner Krankenschwester blieb, dem Pfleger auf dem Flur, dem Internisten, der ein Stockwerk unter mir Röntgenaufnahmen ansah, und dem stellvertretenden Chefarzt, der gerade im Zimmer neben mir stand und auf meinen komatösen Körper hinabsah. Entfernung war kein Hindernis mehr für meine >Gabe<. Jahrzehntelang hatten Nina und ich darüber gestaunt, daß Willi es fertig brachte, seine Handlanger über größere Entfernungen hinweg zu >benützen< als wir, aber jetzt war ich viel mächtiger.
    Und meine Kräfte nahmen mit jedem Tag zu.
    Am zweiten Tag, als ch meine neuen Wahrnehmungen und Fähigkeiten gerade erprobte, kam die Familie zurück. Ich kannte den großen, rothaarigen Mann nicht,

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