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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Charleston und mein Zuhause. Es bereitete nur unerhebliche Schwierigkeiten, im Krankenhaus zu bleiben, ohne die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken; in der dritten Woche ließ Dr. Hartman mich in ein großes Privatzimmer im sechsten Stock verlegen, und das Personal hatte zum größten Teil den Eindruck, als wäre ich eine besonders wohlhabende Patientin, die besondere Pflege verdiente. Was ja auch stimmte.
    Es gab einen Mann in der Verwaltung, einen Dr. Markham, der weiterhin Fragen wegen mir stellte. Er kam jeden Tag in den sechsten Stock und schnüffelte herum wie ein Hund, der eine Witterung aufgenommen hat. Ich ließ ihn von Dr. Hartman beruhigen. Ich ließ ihm von Oberschwester Oldsmith den Sachverhalt erklären. Schließlich drang ich in den Verstand des kleinen Mannes ein und beschwichtigte ihn auf meine Weise. Aber er blieb hartnäckig. Vier Tage später war er wieder da, fragte die Schwestern nach der speziellen medizinischen Versorgung, die mir zuteil wurde, wollte wissen, wer die zusätzlichen Medikamente, Tests, CAT-Scans und Spezialisten bezahlen würde, die hinzugezogen wurden. Markham wies darauf hin, daß die Verwaltung keinerlei Unterlagen über meine Aufnahme hatte, keine Formulare 26479B15-C keine Computerausdrucke der angefallenen Kosten und keinerlei Informationen darüber, wie die Bezahlung erfolgen sollte. Schwester Oldsmith und Dr. Hartman willigten ein, am nächsten Morgen mit unserem Inquisitor, dem Aufsichtsratsvorsitzenden des Krankenhauses, dem Verwaltungschef und drei anderen leitenden Angestellten an einer Sitzung teilzunehmen.
    An diesem Abend begleitete ich Markham, als er nach Hause fuhr. Auf dem Schuylkill Expressway herrschte dichter Verkehr, was unliebsame Erinnerungen an die Neujahrsnacht wachrief. Kurz bevor wir die Zufahrt zum Roosevelt Expressway erreichten, ließ ich unseren Freund das Auto an den schmalen Straßenrand fahren, wo er den Warnblinker einschaltete, ausstieg und sich vor seinen Chrysler stellte. Ich half ihm dabei, über eine Minute stehenzubleiben, sich den Kahlkopf zu kratzen und zu überlegen, was mit seinem Auto sein könnte. Als der Zeitpunkt gekommen war, war es offensichtlich. Auf allen fünf Fahrspuren brauste der Verkehr dahin. Auf der inneren Spur fuhr ein großer LKW.
    Unser Freund von der Verwaltung lief mit drei ausgreifenden Sprüngen los. Ich hatte gerade noch Zeit, auf das Plärren der Hupen zu hören, den erschrockenen Ausdruck im Gesicht des LKW-Fahrers zu sehen, der rasend schnell näherkam, und Markhams ungläubig jagende Gedanken wahrzunehmen, bevor der Aufprall mich zu anderen Wahrnehmungsträgern zurückschleuderte. Ich suchte Schwester Sewell und teilte ihre Vorfreude, während sie auf den Schichtwechsel und ihren jungen Internisten wartete.
    Zeit bedeutete mir in diesem Lebensabschnitt sehr wenig. Ich glitt so mühelos in der Zeit vorwärts und rückwärts, wie ich mich von einem Wahrnehmungsträger zum nächsten bewegte. Besonders gern durchlebte ich noch einmal die Sommer in Europa mit Nina und unserem neuen Freund Wilhelm.
    Ich erinnerte mich an die kühlen Sommerabende, an denen wir drei die prachtvolle Ringstraße entlangschlenderten, wo man jeden, der in Wien jemand war, in seiner erlesensten Kleidung promenieren sehen konnte. Willi war für sein Leben gern ins Filmtheater Kollosseum in der Nussdorfer Straße gegangen, aber bei den dort gezeigten Filmen handelte es sich stets unweigerlich um diese langweiligen deutschen Propagandastreifen, und normalerweise gelang es Nina und mir, unseren jungen Führer ins Kino Krüger zu locken, wo die neuesten amerikanischen Gangsterfilme liefen. Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich eines Abends Tränen lachte, als Jimmy Cagney im ersten synchronisierten Tonfilm, den ich sah, Worte in häßlichem Deutsch hervorstieß.
    Hinterher gingen wir häufig in die Bar Reiss abseits der Kärntner Straße etwas trinken, begrüßten andere Gruppen junger Lebenskünstler und entspannten uns in der schicken Behaglichkeit der Sessel aus echtem Leder, während wir das Spiel des Lichts auf Mahagoni, Glas, Chrom und dem Gold und Marmor der Tische genossen. Manchmal kamen einige der Edelprostituierten der nahegelegenen Krügerstraße mit ihren Freiern herein und verliehen dem Abend eine verruchte, laszive Atmosphäre.
    Manchmal beendeten wir unsere nächtlichen Touren durch die Stadt mit einem Besuch im Simpl, dem besten Kabarett in Wien. Der volle Name des Etablissements lautete >Simplicissimus<, und ich kann

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