Kraft des Bösen
mich noch deutlich erinnern, daß es von zwei Juden geleitet wurde - Karl Frakas und Fritz Grünbaum. Auch später, als die Braunhemden und Sturmtruppen die Straßen der Altstadt verwüsteten, brachten die beiden Komiker die Leute dazu, sich vor Lachen zu biegen, wenn sie satirische Sketche um Klischeebilder von Naziführern spielten, die tollpatschig durch gesellschaftliche Ereignisse trampelten oder die Feinheiten der faschistischen Doktrin auf der Straße diskutierten, während sie jeden Hund, jede Katze und jeden Passanten mit einem »Sieg heil« begrüßten. Ich kann mich erinnern, wie Willi vor Lachen brüllte, bis ihm Tränen die roten Wangen hinabrannen. Einmal lachte er so sehr, daß er fast erstickte, bis Nina ihm beruhigend auf die Schulter klopfte und ihm unsere Champagnergläser anbot. Einige Jahre nach dem Krieg erwähnte Willi einmal beiläufig während einer unserer Wiedersehensfeiern, daß entweder Frakas oder Grünbaum - ich kann mich nicht mehr erinnern, welcher - in einem der Lager starb, die Willi kurzzeitig leitete, bevor er an die Ostfront versetzt wurde.
Damals war Nina wunderschön. Ihr blondes Haar war kurz und lockig und nach der allerneuesten Mode frisiert, und aufgrund ihrer Erbschaft konnte sie sich die kostbarsten Seidenkleider aus Paris leisten. Ich erinnere mich besonders an ein grünes Kleid mit tiefem Ausschnitt, dessen weicher Stoff sich über ihre kleinen Brüste schmiegte, und wie prächtig das Grün die leichte Rötung ihrer Wangen und den alabasterweißen Teint betonte, während es gleichzeitig einen seltsamen Kontrast zu ihren blauen Augen bildete.
Ich weiß nicht mehr, wer in diesem Sommer offiziell das >Spiel< vorgeschlagen hat, aber ich kann mich noch gut an unsere Aufregung und den Nervenkitzel der tödlichen Jagd erinnern. Wir >benützten< abwechselnd verschiedene Handlanger - Bekannte von uns, Freunde der anvisierten Opfer -, einen Fehler, den wir nicht wieder machten. Im darauffolgenden Sommer nahmen wir das >Spiel< noch ernster, saßen in unserem Hotelzimmer in der Josefstraße und >benützten< dasselbe Instrument einen stiernackigen Tölpel aus der Arbeiterklasse, der nie gefaßt wurde, den Willi aber später aus dem Weg schaffte -, und wenn wir drei alle im selben Verstand präsent waren und dieselben Erlebnisse teilten, war das irgendwie intimer und erregender, als es jede sexuelle Menage, mit der wir experimentierten, hätte sein können.
Ich kann mich noch an den Sommer erinnern, den wir in Bad Ischl verbrachten. Nina machte einen Witz über den Bahnhof, wo wir umsteigen mußten ... in einem kleinen Kaff namens Attnang-Puchheim. Wenn man es schnell hintereinander wiederholte, wurde Attnang-Puchheim rasch zum Geräusch des Zuges selbst. Wir lachten, bis wir nicht mehr konnten, und dann fingen wir von vorne an. Ich erinnere mich noch an die mißfälligen Blicke einer alten Witwe auf der anderen Seite des Mittelgangs.
In Bad Ischl saß ich eines Nachmittags allein im Café Zauner. Ich war wie immer zum Sprachunterricht gegangen, aber der Lehrer war krank geworden, und als ich in das Café zurückkehrte, wo Willi und Nina stets auf mich warteten, war unser Tisch nicht besetzt.
Ich kehrte ins Hotel an der Promenade zurück, wo Nina und ich abgestiegen waren. Ich weiß noch, ich war gelinde neugierig, auf welche Stegreifexkursion sich meine Freunde begeben hatten und warum sie nicht auf mich gewartet hatten. Ich hatte die Tür aufgeschlossen und das Wohnzimmer schon halb durchquert, als ich die Geräusche aus Ninas Schlafzimmer hörte. Anfangs hielt ich sie für Schmerzlaute und lief in der naiven Anwandlung zur Tür, dem Zimmermädchen, oder wer sonst in Bedrängnis, zu Hilfe zu kommen.
Es waren natürlich Willi und Nina. Sie waren keineswegs in Bedrängnis. Ich weiß noch, wie blaß Ninas Schenkel und Willis stoßende Flanken im spärlichen Licht waren, das durch die kastanienfarbenen Vorhänge hereindrang. Ich stand eine volle Minute da und sah ihnen zu, bevor ich die Suite verließ. Willis Gesicht blieb abgewandt und an Ninas Schulter und in den Daunenkissen vergraben, aber Nina wandte mir fast auf der Stelle das Gesicht und die klaren blauen Augen zu. Ich bin sicher, daß sie mich gesehen hat. Sie hörte jedoch nicht auf, ebensowenig wie sich der Rhythmus der animalischen Grunzlaute veränderte, die aus ihrem offenen, rosafarbenen und vollkommenen Mund drangen.
Mitte März hatte ich mich entschieden, daß es Zeit wurde, das Krankenhaus und Philadelphia zu
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