Kraft des Bösen
Apfelkuchen zu backen«, sagte Natalie schläfrig.
»Abgemacht«, sagte Saul. »Wir trinken Jack Daniels und backen einen Apfelkuchen.«
Saul ließ sich Zeit beim Einkaufen, schob den Wagen langsam hell erleuchtete Gänge zwischen Regalen entlang, lauschte eingängiger Musik und dachte über Theta-Rhythmen und Aggression nach. Er hatte schon vor langer Zeit herausgefunden, daß amerikanische Supermärkte eine der einfachsten Möglichkeiten zu wirkungsvoller Selbsthypnose boten. Außerdem hatte er sich seit langem angewöhnt, sich in eine leichte hypnotische Trance zu versetzen, wenn er sich mit komplexen Problemen beschäftigen mußte.
Während er von Gang zu Gang ging wurde Saul klar, daß er die letzten fünfundzwanzig Jahre mit seinen Versuchen, die Mechanismen der Dominanz bei Menschen zu finden, die falsche Richtung eingeschlagen hatte. Wie die meisten Forscher hatte auch Saul eine komplizierte Interaktion von sozialen Impulsen, physiologischen Feinheiten und Verhaltensmustern höherer Ordnung postuliert. Obwohl ihm die primitive Art bewußt gewesen war, wie der Standartenführer Besitz von ihm ergriffen hatte, hatte Saul den Auslöser in den unerforschten Windungen der Großhirnrinde gesucht und sich nur gelegentlich mit dem Kleinhirn befaßt. Jetzt deuteten sämtliche EEG- Daten darauf hin, daß die Fähigkeit ihren Ursprung im primitiven Hirnstamm hatte und irgendwie vom Ammonshorn in Verbindung mit dem Hypothalamus projiziert wurde. Saul hatte den Standartenführer und seinesgleichen lange als Mutationen betrachtet, ein evolutionäres Experiment oder eine statistische Laune, die eine normale menschliche Fähigkeit in krankhaft übersteigerter Form darstellten. Die vierzig Stunden mit Harod hatten diese Überzeugung für alle Zeiten zunichte gemacht. Wenn der Ursprung dieser unerklärlichen Fähigkeit der Hirnstamm und das frühe Randsystem der Säugetiere war, überlegte sich Saul, dann mußte die Fähigkeit dieser Gedankenvampire vor den Homo sapiens datiert werden. Harod und die anderen waren Irrläufer, willkürliche Rückentwicklungen zu einem früheren evolutionären Stadium.
Saul dachte immer noch über Theta-Rhythmen und das REM-Stadium nach, als er f;ststellte, daß er die Lebensmittel bezahlt und zwei prallvolle Einkaufstüten präsentiert bekommen hatte. Er folgte einer Eingebung und ließ sich vier Dollar in Vierteldollarmünzen geben. Als er die Lebensmittel zum Auto trug, fragte sich Saul, ob er Jack Cohen anrufen sollte oder nicht.
Die Logik sprach dagegen. Saul war immer noch fest entschlossen, den Israeli nicht mehr in die Sache hineinzuziehen, als unbedingt notwendig war, daher konnte er keinerlei Informationen über die vergangenen paar Tage weitergeben. Und er hatte keine weiteren Bitten an den Agenten. Noch nicht. Wenn er Jack Cohen jetzt anrief, wäre das reiner Eigennutz.
Saul verstaute die Lebensmittel im Wagen und schlenderte zu einer Reihe Münzfernsprecher beim Eingang des Supermarkts. Möglicherweise war es Zeit für ein bißchen Eigennutz. Saul war in triumphierender Stimmung und wollte seine gute Laune mit jemandem teilen. Er würde nichts preisgeben, Jack aber wissen lassen, daß sich sein Zeitaufwand und seine Mühen ausgezahlt hatten.
Saul wählte die Nummer von Jacks Privattelefon, die er sich eingeprägt hatte. Es war niemand zu Hause. Er holte das Kleingeld wieder heraus und wählte direkt die israelische Botschaft an, wo er die Telefonistin bat, ihn mit Jacks Apparat zu verbinden. Als eine andere Sekretärin sich erkundigte, wer sprach, nannte Saul den Namen Sam Turner, den Cohen vorgeschlagen hatte. Er hatte die Nachricht hinterlassen wollen, daß >Sam Turner< oberste Priorität besaß.
Er mußte fast eine Minute warten. Saul kämpfte gegen ein unheilvolles Gefühl von déjà vu an, das in ihm aufstieg. Ein Mann meldete sich und sagte: »Hallo, wer spricht da, bitte?«
»Sam Turner«, sagte Saul, der wachsende Übelkeit spürte.
Er wußte, er sollte auflegen.
»Und wen möchten Sie bitte sprechen?«
»Jack Cohen.«
»Könnten Sie mir bitte sagen, in welcher Angelegenheit Sie Mr. Cohen sprechen möchten?«
»Persönlich.«
»Sind Sie ein Verwandter oder enger Freund von Mr. Cohen?«
Saul legte auf. Er wußte, es war schwieriger, ein Telefongespräch zu verfolgen, als einem Film und Fernsehen glauben machen wollten, aber er war lange genug in der Leitung geblieben. Er rief die Auskunft an, bekam die Nummer der Los Angeles Times und wählte mit seinem letzten
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