Kraft des Bösen
Loch in ihrer Stirn gesehen. Die blauen Augen, die sich nach oben in den Kopf zurückgedreht haben.
Die Patronen waren alt. Wenn die Kugel nun den Schädel getroffen hatte, sogar eingedrungen war, aber nicht mehr Schaden im Gehirn angerichtet hatte als mein cerebrovasculärer Anfall bei mir?
In den Nachrichten hatte es geheißen, daß sie gestorben war. Ich hatte ihren Namen gehört und unter denen der Opfer gelesen.
Meinen aber auch.
Neben meinem Bett begann einer der Monitoren einen schrillen Alarmton von sich zu geben. Ich zwang mich, Herzschlag und Atmung zu beruhigen. Das Piepsen hörte auf.
Von meinen anderen Blickwinkeln aus konnte ich sehen, daß sich Justins Ausdruck in den wenigen verstrichenen Sekunden nicht verändert hatte. Das Gesicht des Sechsjährigen wurde immer noch von der flackernden Kerzenflamme zur Maske eines jungen Dämonen verzerrt. Auf dem Lederpolster des Sessels, der immer Vaters Lieblingssessel gewesen war, wiesen seine kleinen Schuhe schnurgerade nach oben.
»Erzähl mir von Willi«, sagte ich durch Justin.
»Er lebt«, sagte das Mädchen.
»Unmöglich. Sein Flugzeug wurde mit sämtlichen Passagieren zerstört.«
»Außer Willi und seinen beiden Handlangern«, sagte die Negerin. »Sie sind vor dem Abflug ausgestiegen.«
»Warum hast du dich dann gegen mich gewandt, obwohl du wußtest, daß du bei Willi nicht zum Ziel gekommen warst?« schnappte ich.
Das Mädchen zögerte einen Augenblick. »Ich habe das Flugzeug nicht zerstört«, sagte sie.
Oben schlug mein Herz schneller, und ein Oszilloskop zeigte grüne Punkte, die bewirkten, daß das grüne Leuchten im Zimmer im Einklang mit meinem Herzschlag pulsierte. »Wer dann?« fragte ich.
»Die anderen«, sagte sie tonlos.
»Welchen anderen?«
Das Mädchen holte tief Luft. »Es existiert noch eine Gruppe anderer mit unserer Kraft. Eine geheime Gruppe von ...«
»Unserer Kraft?« unterbrach ich sie. »Meinst du die >Gabe«
»Ja«, sagte sie.
»Unsinn. Wir haben nie jemanden getroffen, der auch nur einen Hauch unserer >Gabe< gehabt hätte.« Ich ließ Culley in der Dunkelheit eine Hand heben. Ihr Hals ragte dünn und gerade aus dem Pullover hervor. Ihr Genick würde brechen wie ein Zweig.
»Diese anderen haben sie auch«, sagte das farbige Mädchen mit fester Stimme. »Sie haben versucht, Willi zu töten. Sie haben versucht, dich zu töten. Hast du dich nicht gefragt, wer das in Germantown gewesen ist? Die Schießerei? Der Helikopter, der in den Fluß gestürzt ist?«
Wie konnte Nina davon wissen? Wie konnte überhaupt jemand davon wissen?
»Du könntest eine von ihnen sein«, sagte ich nachdrücklich.
Das Mädchen nickte gelassen. »Ja, aber würde ich dann zu dir kommen, um dich zu warnen? Ich habe versucht, dich in Germantown zu warnen, aber du wolltest mir ja nicht zuhören.«
Ich versuchte mich zu erinnern. Hatte mich das Negermädchen vor etwas gewarnt? Das Flüstern war so laut gewesen; es war mir schwergefallen, mich zu konzentrieren. »Du und der Sheriff, ihr seid gekommen, um mich zu töten«, sagte ich.
»Nein.« Der Kopf des Mädchens bewegte sich langsam, eine eingerostete Marionette aus Metall. Nina Barrett Kramer hatte sich genauso bewegt. »Willi hat den Sheriff geschickt. Er ist auch gekommen, um dich zu warnen.«
»Wer sind diese anderen?« fragte ich.
»Berühmte Leute«, sagte sie. »Mächtige Leute. Leute mit Namen wie Barent, Kepler, Sutter und Harod.«
»Diese Namen sagen mir nichts«, sagte ich. Plötzlich schrie ich mit der schrillen Stimme des sechsjährigen Justin. »Du lügst! Du bist nicht Nina! Du bist tot! Woher solltest du von diesen Leuten wissen?«
Das Mädchen zögerte, als wollte sie entscheiden, ob sie sprechen sollte. »Ich kannte einige in New York«, sagte sie schließlich. »Sie haben mich dazu verleitet, zu tun ... was ich getan habe.«
Es folgte eine so umfassende und anhaltende Stille, daß ich durch meine sämtlichen acht Quellen Tauben auf dem Sims des Panoramafensters im ersten Stock gurren hören konnte. Ich ließ den Jungen draußen das Messer von der verkrampften rechten Hand in die linke nehmen. Miß Sewell war leise in die Küche gegangen und inzwischen zurückgekehrt; sie stand jetzt im Schatten der Tür und hielt das Fleischbeil hinter dem beigefarbenen Rock versteckt. Culley regte sich, und in seiner hungrigen Ungeduld konnte ich ein Echo von Vincents blutrünstigem Eifer erahnen.
»Sie haben dich beschworen, mich zu töten«, sagte ich, »und versprochen,
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