Kraft des Bösen
daß sie Willi eliminieren würden, während du dich mit mir beschäftigst.«
»Ja«, sagte sie.
»Aber es ist ihnen nicht gelungen, und dir auch nicht.«
»Ja.«
»Warum erzählst du mir das, Nina?« sagte ich. »Ich hasse dich nur noch mehr.«
»Sie haben mich verraten«, sagte sie. »Sie haben mich allein gelassen, als du hinter mir her warst. Ich möchte, daß du sie erledigst, bevor sie dich wieder verfolgen.«
Ich ließ Justin sich nach vorn beugen. »Sprich mit mir, Nina«, flüsterte ich, »Erzähl mir von den alten Zeiten.«
Sie schüttelte den Kopf. »Dafür ist keine Zeit, Melanie.«
Ich lächelte und spürte, wie Speichel Justins Milchzähne befeuchtete. »Wo haben wir uns kennengelernt, Nina? Bei wessen Ball waren wir, als wir zum erstenmal unsere Tanzkarten verglichen haben?«
Das Negermädchen zitterte ein wenig und hob eine dunkle Hand zur Stirn. »Melanie, mein Gedächtnis ... es hat Lücken ... meine Verletzung.«
»Vor einem Augenblick schien sie dir noch nicht zu schaffen zu machen«, schnappte ich. »Wer ist mit uns zum Picknick nach Daniel Island gekommen, Nina, Teuerste? Erinnerst du dich an ihn, oder nicht? Wer waren unsere Beaus in diesem längst vergangenen Sommer?«
Das Mädchen schwankte, ohne die Hand von der Schläfe zu nehmen. »Melanie, bitte, ich erinnere mich, und dann vergesse Ich es wieder ... die Schmerzen .«
Miß Sewell näherte sich dem Mädchen von hinten. Mit ihren Schwesternschuhen mit den Kreppsohlen machte sie keinen Laut auf dem Teppich.
»Wer war das erste Opfer unseres >Spiels< damals in Bad Ischl?« fragte ich, nur damit Miß Sewell Zeit für ihre beiden letzten lautlosen Schritte hatte. Ich wußte, diese schwarze Hochstaplerin konnte nicht antworten. Wir würden sehen, ob sie Nina noch imitieren konnte, wenn ihr Körper weiter auf dem Sofa saß und ihr Kopf über den Boden íollte. Vielleicht hätte Justin gern ein neues Spielzeug.
Das Negermädchen sagte: »Die erste war diese Tänzerin aus Berlin - Meier, so hieß sie, glaube ich - ich kann mich nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern, aber wir haben sie im Café Zauner gesehen, wie immer.«
Alles blieb stehen.
»Was?« sagte ich.
»Am nächsten Tag - nein, es war zwei Tage später, an einem Mittwoch - war es dieser lächerliche kleine Eismann. Wir haben seinen Leichnam in einem Kühlhaus gelassen ... an einem Fleischerhaken hängen ... Melanie, es tut weh. Ich kann mich erinnern und dann wieder nicht!« Das Mädchen fing an zu weinen.
Justin rutschte zum Rand des Kissens, sprang auf den Boden, ging um den Teetisch herum und tätschelte ihr die Schulter. »Nina«, sagte ich, »es tut mir leid. Es tut mir so leid.«
Miß Sewell machte Tee und servierte ihn in meinem besten Wedgwood-Porzellan. Culley brachte weitere Kerzen herein. Dr. Hartman und Schwester Oldsmith kamen nach oben und sahen nach mir, während Howard, Nancy und die anderen vier sich im Salon setzten. Der schwarze Junge blieb draußen in den Büschen.
»Wo ist Willi?« fragte ich durch Justin. »Wie geht es ihm?«
»Dem geht es gut«, sagte Nina, »aber ich bin nicht sicher, wo er sich aufhält, weil er sich verstecken muß.«
»Vor den Leuten, die du erwähnt hast?« fragte ich.
»Ja.«
»Warum möchten sie uns ein Leid zufügen, teuerste Nina?«
»Sie fürchten uns, Melanie.«
»Warum sollten sie uns fürchten? Wir haben ihnen nichts getan.«
»Sie fürchten unsere ... unsere >Gabe<. Und sie hatten Angst, sie könnten bloßgestellt werden wegen Willis ... Exzessen.«
Der kleine Justin nickte. »Wußte Willi auch von den anderen?«
»Ich glaube schon«, sagte Nina. »Zuerst wollte er ihrem ... ihrem Club beitreten. Jetzt will er nur noch überleben.«
»Ihrem Club?« sagte ich.
»Sie haben eine Geheimorganisation«, sagte Nina. »Und einen Ort, wo sie sich jedes Jahr treffen, um vorher ausgewählte Opfer zu jagen ...«
»Ich verstehe, warum Willi zu ihnen gehören wollte«, sagte ich. »Können wir ihm jetzt trauen?«
Das Mädchen wartete. »Ich glaube schon«, sagte Nina. »Aber wir drei sollten uns auf jeden Fall zum gegenseitigen Schutz zusammentun, bis diese Gefahr vorüber ist.«
»Erzähl mir mehr von diesen Leuten«, sagte ich.
»Das werde ich«, sagte Nina, »aber später. Ein andermal. Ich ... werde schnell müde.«
Justin setzte sein engelhaftestes Lächeln auf. »Nina, Darling, sag mir, wo du dich gerade aufhältst. Laß mich zu dir kommen, dir helfen.«
Das Mädchen lächelte und schwieg.
»Nun gut«,
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