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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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einen Messerstich noch eine Kugel wahrgenommen. Möglicherweise hatten Howards Schmerzen es überdeckt oder meine Gegenwehr auf die Bewußtseinsregung des farbigen Jungen oder Miß Sewells Ungeschicklichkeit. Ich wußte es nicht.
    Justin war fort. Wer würde mir jetzt abends das Haar kämmen?
    Vielleicht hatte Nina ihn nicht getötet, nur mitgenommen. Zu welchem Zweck? Als Tauschobjekt, weil ich den Tod ihrer albernen kleinen Zimperliese von einer Botin verschuldet hatte? Konnte Nina so kleinlich sein?
    Ja, das konnte sie.
    Culley traf im Park ein und suchte umher, bis die Leute ihn anstarrten. Mich anstarrten.
    Der Mietwagen stand noch verlassen da. Der Kombi war fort. Der Leichnam des farbigen Mädchens war fort. Justin war fort.
    Ich lehnte Culleys gewaltige Unterarme gegen das Metallgeländer und sah in den zwölf Meter tiefer liegenden Fluß hinab. Graue Strömungen wirbelten und wogten.
    Culley weinte. Ich weinte. Wir alle weinten.
    Hol dich der Teufel, Nina.
    Es war spät in der Nacht, ich lag im Halbschlaf der Medikamente, als wütend an das Tor geklopft wurde. Ich schickte benommen Culley, Howard und den Negerjungen hinaus. Ich sah, wer da stand, und erstarrte.
    Es war Ninas farbiges Mädchen mit aschfahlem Gesicht, schmutziger und zerrissener Kleidung und aufgerissenen Augen. Sie hielt Justins leblosen Körper auf den Armen. Schwester Oldsmith schlug die Vorhänge auseinander und sah durch die Läden hinaus, damit ich noch einen anderen Blickwinkel hatte.
    Das farbige Mädchen hob einen langen Finger und deutete direkt auf mein Zimmer, direkt auf mich.
    »Du, Melanie!« rief sie so laut, daß ich sicher war, sie würde jeden in der Altstadt aufwecken. »Melanie, öffne dieses Tor auf der Stelle. Ich möchte mit dir reden.«
    Ihr Finger blieb erhoben und deutete herauf. Es schien, als wäre ein langer Zeitraum vergangen. Die grünen Spitzen des Monitors beim Bett pulsierten rasend. Wir machten alle die Augen zu und sahen dann noch einmal hin. Das farbige Mädchen war immer noch da, deutete immer noch nach oben und sah mit einer anmaßenden Arroganz herauf, die ich nicht mehr gesehen hatte, seit ich zum letztenmal einen von Nina Draytons Plänen vereitelt hatte.
    Langsam und zögerlich schickte ich Culley hinaus, das Tor aufschließen, und ließ ihn hastig zurücktreten, bevor das Ding, das Nina geschickt hatte, ihn berühren konnte. Sie trat forsch ein und kam durch die offene Eingangstür hereingerauscht.
    Wir anderen machten Platz und wichen zurück, als sie den Salon betrat. Sie legte den reglosen Justin auf den Diwan.
    Ich war nicht sicher, was ich tun sollte. Wir warteten.

59. Kapitel
     
    Charleston: Sonntag, 10. Mai 1981
     
    Saul beobachtete Natalie und Justin im Park und verfolgte ihre Unterhaltung über das Mikrofon, das sie an den Kragen ihrer Bluse gesteckt hatte, als der Computer einen schrillen Alarmton ausstieß. Saul sah blitzschnell zum Bildschirm des tragbaren Computers auf dem Beifahrersitz und dachte einen Moment, daß es sich um einen Fehler des Telemetriepacks, der Sensoren oder der Batterie auf dem Rücksitz handeln mußte und nicht um das Ereignis, vor dem ihnen beiden so sehr graute. Ein Blick verriet ihm allerdings, daß kein Gerätefehler vorlag. Das Muster der Theta-Rhythmen war unverwechselbar, das Alpha-Muster ließ bereits die Peaks und Täler des Rapid Eye Movement erkennen. In diesem Augenblick fand er die Lösung eines Problems, mit dem er seit Monaten rang, und gleichzeitig wurde ihm bewußt, daß sein Leben in unmittelbarer Gefahr war.
    Saul sah hinaus und erblickte Natalie, die sich in seine Richtung drehte, während er noch nach der Betäubungspistole griff, sich zur Tür hinausrollte, von dem Kombi wegschlich und versuchte, ihn und die anderen Fahrzeuge zwischen Natalie, den Jungen und sich selbst zu bringen. Nein, das ist nicht Natalie, dachte er und duckte sich hinter das letzte Auto auf dem Parkplatz, acht Meter von dem Kombi entfernt.
    Warum hatte die alte Dame ausgerechnet jetzt beschlossen, Natalie zu >benützen